Japan:Staatlicher Schummel bei den Schwächsten

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Solche Hilfe an Zug- oder U-Bahnstationen waren in Japan lange nicht vorhanden, Behinderte galten als Stigma für Familien. (Foto: Behrouz Mehri/AFP)

Japans Ministerien sollen Vorbilder sein, so will es die Regierung. Doch ausgerechnet sie erfüllen die gesetzlichen Quoten für die Beschäftigung von Behinderten nicht. Tun aber so.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Japans Ministerien sollen Vorbilder sein, so will es die Regierung. Private Institutionen und Unternehmen sind in Nippon gesetzlich verpflichtet, dass in ihrer Belegschaft mindestens 2,2 Prozent Menschen mit Behinderungen sein sollen. Bei den Ministerien müssen es sogar mehr sein, sie sind verpflichtet, einen Anteil von 2,5 Prozent zu beschäftigen.

Firmen, die sich nicht an die Vorgabe halten, werden bestraft mit etwa 350 Euro Strafgeld pro Monat für jeden Mitarbeiter, der zur Quote fehlt. In schweren Fällen werden Firmen öffentlich gebrandmarkt, zumindest ist das vorgesehen. Beschämen gilt in Japan als besonders scharfe Strafe. Bis vor einigen Jahrzehnten sah man in Japan kaum Behinderte in der Öffentlichkeit. Sie waren weggesperrt. Öffentliche Gebäude waren selten für Rollstuhlfahrer zugänglich, in Bahnstationen gab es keine Lifte. Familien behandelten behinderte Angehörige als Stigma. In Ministerien ist das offenbar noch immer so. Das Innenministerium musste nun zugeben, dass es die Zahl der dort beschäftigten Behinderten seit Jahren gefälscht hat. So kam es am Freitag einer Untersuchung zuvor.

Weitere Ministerien werden verdächtigt, ihre Quoten aufzublasen. In Wahrheit soll nicht einmal ein Prozent der Menschen in der Staatsverwaltung behindert sein. Das Transportministerium verkündete, es sei dabei, die reale Zahl zu ermitteln. Es werde aber dauern. Auch das Landwirtschaftsministerium räumt ein, seine Zahlen seien wohl zu hoch. Ein Sprecher des Innenministeriums versuchte, dem Amt eine Hintertür zu öffnen: Möglicherweise hätten einige Behinderte ihre Behinderung bei der Anstellung nicht angegeben.

Was aber klar zu sein scheint: Japans Regierung hat sich selber betrogen. Unklar ist, ob sie sich auch selbst mit Geldbußen bestraft. Oft wird bei Skandalen im Regierungsapparat, etwa bei der Fälschung von Dokumenten im Finanzministerium, nicht ermittelt, wer wirklich verantwortlich war. Aber auch in der Wirtschaft wird die Verantwortung oft vertuscht. Japans Arbeitnehmer, besonders in höheren Etagen - und offenbar auch in Ministerien - identifizieren sich so bedingungslos mit ihrer Institution, dass sie Versäumnisse oder Betrügereien aus Loyalität decken. So war das beim Kernkraftwerk Fukushima, so ist es bei Kobe Steel. Der Stahlkonzern hat jahrelang Eisenbahn- und Flugzeugbauern, auch Boeing, minderwertige Metalle geliefert mit gefälschten Qualitätszertifikaten. Keiner im Unternehmen hat etwas gesagt.

Ähnlich wie Behinderte behandelt der "Old-Boys-Klub", der Japan regiert, Frauen. Premier Shinzo Abe redet zwar seit Jahren davon, er wolle mehr Frauen in der Wirtschaft und im öffentlichen Bereich, "Womenomics" ist sein Etikett dafür. "Die Frauen sollen leuchten", sagte er, der vor einigen Jahren noch schrieb, Mütter gehörten an den Herd. Japan braucht ihre Arbeitskraft. Im Gleichstellungsindex des World Economic Forum ist Nippon aber, seit Abe regiert, um mehr als zehn Ränge abgerutscht, auf Platz 114 von 144, hinter Aserbaidschan und Nepal. Bei den jüngsten Parlamentswahlen waren nur 7,5 Prozent der Kandidaten von Abes Liberaldemokraten (LDP) weiblich. Wie Ministerien bei Behinderten hält sich die LDP nicht an eigene Vorsätze.

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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