Japan:Keine Alternative zu Abe

Lesezeit: 3 min

Ein Mädchen wirft in Tokio für seinen Vater den Stimmzettel in die Wahlurne. Die Beteiligung war bei der vorgezogenen Wahl gering. (Foto: Kim Kyung-Hoon/Reuters)

In Japan gewinnt das Regierungsbündnis aus Liberaldemokratischer Partei und Komeito die Wahl. Premier Abe strebt nun eine Verfassungsänderung an.

Von Christoph Neidhart, München

Die Regierungskoalition in Japan hat bei der vorgezogenen Parlamentswahl ihre Zweidrittelmehrheit behauptet. Die Liberaldemokratische Partei von Ministerpräsident Shinzo Abe und Juniorpartner Komeito hätten zusammen 312 der 465 Unterhaussitze gewonnen, berichtete der Fernsehsender NHK in der Nacht zum Montag (Ortszeit). Für eine Zweidrittelmehrheit, die für Verfassungsänderungen erforderlich sind, waren mindestens 310 Mandate nötig gewesen. Das offizielle Endergebnis der Parlamentswahl wurde erst für diesen Montag erwartet.

Die große Verliererin vom Sonntag ist "Kibo-no-to", die "Partei der Hoffnung" von Yuriko Koike. Tokios Bürgermeisterin hatte die Partei Ende September überstürzt gegründet, vorübergehend schien sie Abes LDP gefährden zu können. Das war ihr bei den Bürgermeister- und Stadtparlamentswahlen binnen eines Jahres zweimal geglückt. Allerdings wollte sie bei den Parlamentswahlen nicht selbst antreten, da ihr ein Rücktritt vom Bürgermeisteramt nach weniger als anderthalb Jahren übel genommen worden wäre. Damit hätte Kibo im Fall eines Wahlsiegs gar keinen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs gehabt. Koikes Dilemma war, entweder die Stadt oder ihre neue Partei im Stich zu lassen.

Kibo vermochte kein Kapital aus Abes Skandalen schlagen. Der neuen Partei half auch nicht, dass der Chef der Demokraten, Seiji Maehara, bisher die führende Oppositionskraft in Japan, die Unterhausfraktion aufgelöst hatte, nachdem ihm mehrere Abgeordnete in der Hoffnung, von Koikes Popularität zu profitieren, davongelaufen waren. Er riet den Abgeordneten, sich Kibo anzuschließen. Ersten Resultaten zufolge konnten jedoch nicht alle Überläufer ihre Sitze halten. Kibo dürfte, ähnlich wie die rechtspopulistischen Stadt-Parteien in Nagoya und Osaka, nach dieser Schlappe lokalpolitisch eine Großmacht bleiben, auf die Regierung dagegen nur marginal Einfluss haben. Damit vertieft sich die Kluft zwischen Japans drei großen Städten und dem übrigen Land weiter.

Maeharas Schachzug, die Unterhausfraktion aufzulösen, ließ einen verwaisten linksliberalen Flügel der Demokraten zurück. Etwa 60 Abgeordnete mochten sich der stramm konservativen Koike nicht anschließen. Angeführt vom ehemaligen Kabinettssekretär Yukio Edano gründeten sie erst Anfang Oktober die "Verfassungsdemokratische Partei", kurz "Rikken", die nun auf Anhieb stärkste Oppositionskraft wurde. Während die Wahl Japans Regierungspolitik kaum verändern wird, hat die Partei Koike mit ihrem Verhalten die Demokraten dazu gezwungen, sich von sich selbst zu befreien. Die Partei war ein heterogenes Bündnis, das nur vom Wunsch zusammengehalten wurde, Abe und die LDP zu stürzen.

Mit Rikken erhält Japan wieder eine linksliberale Partei, die im Parlament Gehör finden wird. Eine "Partei der Idealisten", wie es der Politologe Michael Cucek von der Temple University in Tokio formuliert. Cucek meint, die Kategorien links und rechts taugten für Japan nicht mehr. Die LDP halte sich für konservativ, treibe aber seit Jahren eine keynesianische Wirtschaftspolitik. Vor allem ist sie die Partei der Polit-Dynastien geworden, die ihre Macht erhalten wollen. Abe ist das beste Beispiel, sein Vater war Außenminister, sein Onkel und sein Großvater waren Ministerpräsidenten, letzterer war während des Krieges auch Munitionsminister.

Um Inhalte ging es in diesem Wahlkampf wenig. Abe begann ihn mit dem Slogan, er werde "alles für die Verteidigung Japans" tun. Er wollte sich als die sichere Hand in der Nordkorea-Krise darstellen, stieß damit jedoch auf wenig Resonanz. Erstmals machte er auch die Verfassungsänderung, vor allem die Abschaffung des Friedensparagrafen, der Japan das Kriegführen verbietet, zum Wahlkampfthema. Das wagte er bisher nie, obwohl das immer schon sein Anliegen war - schon sein Großvater hatte sich 1957 dafür eingesetzt. Der Friedensparagraf ist in Japan weiter populär. Selbst wenn Abe seine Abschaffung im Parlament durchbringen könnte, wozu er eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern bräuchte, dürfte es ihm schwerfallen, das Volk zu überzeugen. Für eine Verfassungsänderung braucht es eine Volksabstimmung.

Wegen seiner Skandale um Günstlingswirtschaft war Abes Popularität im Frühjahr eingebrochen. Mit einer Kabinettsumbildung im August vermochte er die Erosion seiner Macht zu stoppen: Er holte einige seiner erklärten Gegner in die Regierung, unter ihnen den Atomkraftgegner Taro Kono als Außenminister. Da sich die Opposition zugleich in Richtungskämpfen selbst zerfleischte und die allseits erwartete Parteigründung Koikes damals noch nicht geschehen war, sah Abe eine goldenen Chance, noch einmal eine Wahl zu gewinnen und setzte einen Termin dafür an.

Einer Umfrage zufolge lehnte allerdings selbst in der Wahlwoche eine Mehrheit der Japaner Abe persönlich ab. Toshihiro Nikai, der Generalsekretär seiner LDP, sagte am Wahlabend denn auch, er sei "dankbar, dass das Kabinett das Vertrauen des Publikums habe". Den Ministerpräsidenten hob er dabei nicht hervor.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: