Japan:Ein Jahr mit nur vier Monaten

Lesezeit: 3 min

Mit 85 Jahren hat Akihito, hier mit Kaiserin Michiko, genug – und ist somit der erste Tenno seit 1817, der abdankt. (Foto: Kiyoshi Ota/Bloomberg)

Japans Kaiser Akihito hält seine letzte Neujahrsansprache, bald übernimmt sein Sohn. Was der Tenno zu sagen hat, trifft bei den Bürgern auf großes Gehör.

Von Christoph Neidhart, Tokio

So viele Japaner sind noch nie zum Neujahrsgruß des Kaisers gekommen. Nach Zählung des kaiserlichen Hofamts strömten am Mittwoch 154 800 Menschen in den Palastgarten, um ihm, der Kaiserin und der kaiserlichen Familie zuzuwinken. Die Japaner nehmen Abschied von Akihito, der am 30. April zurücktreten wird. "Ich bin wirklich glücklich, mit ihnen allen unter diesem wolkenlosen Himmel das Neue Jahr zu feiern", rief der 85-Jährige den Menschen vom Palastbalkon zu. "Ich bete für Frieden und Glück unseres Volkes und der Welt."

Mit seiner Bescheidenheit und seiner Wärme für die kleinen Leute hat Akihito Japans Kaisertum in die Gegenwart gerettet. Die Ultranationalisten jedoch hat er damit gegen sich aufgebracht. Sie träumen von einem starken, männlichen, politischen Kaiser. Akihito ist ihnen zu sanft, sein Sohn, Thronfolger Naruhito, wird es erst recht sein.

Akihitos Vater Hirohito, der seit seinem Tod "Showa-Kaiser" genannt wird, musste bis 1945 als Shinto-Gott verehrt werden. Bis zum selben Jahr war er nominell Regierungschef und Oberbefehlshaber der Armee, die unendlich viel Leid über Ostasien brachte. Nach Kriegsende legte er die Göttlichkeit ab und erklärte, er sei nun Mensch. Dennoch blieb er den Japanern bis zu seinem Tod 1989 fremd, eine Figur aus einer andern Zeit. Erst Akihito lebt das Menschsein als Tenno, zumindest so weit, wie das Hofamt es zulässt. Er sei bis heute auf der Suche, wie er den Verfassungsauftrag am besten erfüllen könne, das "Symbol des japanischen Staates" zu sein, sagt er.

Die Verfassung verbietet dem Kaiser jede politische Äußerung, daran hält sich Akihito. Aber die Japaner sind hellhörig. Zwischen seinen Zeilen haben sie vor allem in den letzten Monaten, seit seine Abdankung feststeht, Äußerungen gegen die Politik von Premier Shinzo Abe gehört. Damit hat er noch mehr Sympathien gewonnen. In seiner Pressekonferenz vor seinem 85.Geburtstag am 23. Dezember sagte er, es sei wichtig, dass Japan "die zahllosen Leben nicht vergesse, die im Zweiten Weltkrieg verloren gingen". Deshalb müsse man "den Nachgeborenen die Geschichte korrekt weitergeben". Derweil reden Abe und seine politischen Freunde Japans Aggression im Zweiten Weltkrieg klein. Je mehr Abe von Aufrüstung spricht, umso expliziter gibt Akihito sich pazifistisch.

Aus den Ansprachen des Kaisers lasen die Japaner zuletzt Kritik an Premier Abe heraus

Auf Okinawa peitschte der Premier gegen den kollektiven Widerstand einen neuen US-Stützpunkt durch. Der Tenno jedoch äußert Sympathien für "die lange Geschichte der Not" der Menschen auf der geschundenen Insel, die schon jetzt viele US-Stützpunkte beherbergt. Diese Sympathie werde in Zukunft nicht nachlassen, versprach der Kaiser. Außerdem rief er die Japaner auf, die Gastarbeiter, die Abe ins Land holen will, "warm als Mitglieder unserer Gesellschaft willkommen zu heißen".

Abe hat diese leise Kritik auf seine Weise beantwortet. Während der 29. April, der Geburtstag des Showa-Kaisers, als "Showa-Tag" noch immer ein Feiertag ist, wird der 23. Dezember, Akihitos Geburtstag, künftig ein Werktag sein.

Akihito, der erste Tenno seit 1817, der abdankt, wird als "Heisei"-Kaiser in die Geschichte eingehen. "Heisei" bedeutet "Frieden schaffen". Mit seinem Rücktritt beginnt in Japan eine neue Zeitrechnung. Kurz vor der Thronbesteigung des Kronprinzen wird die künftige Ära benannt. Am 30. April geht Heisei zu Ende. Amtlich hat in Japan am 1. Januar nicht das Jahr 2019 begonnen, sondern Heisei 31, das zu einem Jahr mit nur vier Monaten wird. Wie die Ära Naruhitos, des 125. Kaisers, heißen soll, wird das Hofamt erst im April bekanntgeben. Dann müssen in aller Eile Millionen Formulare neu gedruckt werden.

Mit Blick auf die Zukunft sagte Akihito im Dezember, er glaube, seine Söhne würden die kaiserlichen Traditionen weiterführen, "aber Schritt halten mit der sich ständig wandelnden Gesellschaft". Auch dies kann den Rechtskonservativen nicht gefallen. Nach der Thronbesteigung Naruhitos wird sein jüngerer Bruder Fumihito, der bisher den Titel "Prinz Akishino" trägt, offiziell zum Kronprinzen geweiht. Fumihito ist der Vater des einzigen männlichen Enkels von Akihito. Deshalb dürfte der Kaiser, als er vom Wandel der Gesellschaft sprach, auch an eine weibliche Thronfolge gedacht haben.

Zu den Traditionen des Kaiserhauses gehört es, zu Neujahr, Japans höchstem Feiertag, der einst als Geburtstag aller gemeinen Leute galt, Neujahrsgedichte zu verfassen. Heuer veröffentlichte der Kaiser gleich fünf sogenannte Tanka-Gedichte, das sind ungereimte 31-Silben-Gedichte auf je sechs Zeilen. In einem schreibt er von einem Wald an der Küste, in dem er Kiefern gepflanzt habe, die dem Katastrophenschutz in Fukushima dienen sollen. Derweil stellt sich die Kaiserin in einem ihrer Gedichte vor, wie sie sich nach dem Umzug des Paares an das Licht im Palastgarten erinnern wird - nach dem Ende der Heisei-Ära

© SZ vom 03.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: