Jackson-Hole-Konferenz:Signale aus den Bergen

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Offiziell ist es nur ein wissenschaftliches Symposium. Glauben mag das kaum einer: Politiker und Sparer versprechen sich vielmehr Aufschluss über die künftige Geldpolitik in Europa und den USA.

Von Nikolaus Piper

Eigentlich ist es nur ein wissenschaftliches Symposium. Wie in jedem Jahr lädt die Federal Reserve Bank of Kansas City, die für den Mittleren Westen der USA zuständige Landeszentralbank, die Geld- und Finanzelite der Welt zu einer wirtschaftspolitischen Konferenz nach Jackson Hole, einem Ferienort am Rande des Grand-Teton-Nationalparks. Die Konferenz beginnt an diesem Freitag, der unverfängliche Titel in diesem Jahr lautet: "Eine dynamische Weltwirtschaft fördern".

Tatsächlich ist Jackson Hole am Freitag und Samstag der Mittelpunkt der Welt. Was 1978 als agrarpolitische Konferenz begonnen hatte, ist heute einer der wichtigsten Termine auf dem Jahreskalender von Notenbankern, Geldtheoretikern, Finanzleuten und Fachjournalisten. Die Finanzmärkte warten regelmäßig mit Spannung auf die Konferenz in den Bergen: Wird es Signale für die Zinsen und die großen Währungen geben? Wenn ja: Wie sind sie zu deuten? Und wenn nein: Was bedeutet das Schweigen? Hier in Jackson Hole hat Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), 2014 in einem theoretischen Grundsatzreferat den umstrittenen Kauf von Staatsanleihen durch die Notenbank begründet. Hier ließ der schwer erkrankte amerikanische Notenbanker Edward Gramlich 2007 eine dramatische Warnung vor dem Ausmaß der beginnenden Finanzkrise verlesen.

Weite Landschaften: Der Grand Teton National Park in Wyoming. In dem US-Bundesstaat ist nicht einmal jeder Zweite gegen Corona geimpft. (Foto: Brennan Linsley/AP)

Die beiden mit Abstand wichtigsten Besucher in Jackson Hole sind auch in diesem Jahr Mario Draghi und seine amerikanische Kollegin Janet Yellen, Chefin der Federal Reserve. Mit besonderem Interesse werden Medien und Finanzmärkte dabei verfolgen, was Draghi zu sagen hat. Am 7. September, also nur neun Tage nach Jackson Hole, tagt in Frankfurt der EZB-Rat. Manche Händler spekulieren bereits, dass der Rat dann die lange erwartete Zinswende verkünden wird, also die Abkehr von der ultraleichten Geldpolitik mit Null- und Negativzinsen und einer beispiellosen Geldschwemme in der europäischen Wirtschaft. Offiziell wird Draghi nur über das Thema der Konferenz - die Förderung der Weltwirtschaft - sprechen. Hinweise auf die Geldpolitik werde es nicht geben, heißt es in Finanzkreisen. Aber man weiß eben nie. Manchmal haben schon beiläufige Bemerkungen in Jackson Hole die Märkte bewegt. Die Rede Draghis beginnt um 21 Uhr (MEZ), die Yellens um 16 Uhr.

In den Vereinigten Staaten hat die Zinswende bereits stattgefunden. Die Geldschöpfung durch den Kauf von Staatsanleihen ist gestoppt, der Leitzins der Fed, die "Federal Funds Rate", wurde zuletzt im Juni von 1,0 auf 1,25 Prozent erhöht. Bei der Rede Yellens geht es also vor allem um Hinweise darauf, mit welchem Tempo die Zinserhöhungen weitergehen. Esther George, die Gastgeberin von der Kansas Fed, hat bereits bekräftigt, dass sie Spielraum für höhere Zinsen sieht. Wahrscheinlich werden die Besucher in Jackson Hole auch auf Hinweise darauf warten, ob Janet Yellen, deren Mandat am 31. Januar endet, noch für eine weitere Periode von vier Jahren an der Spitze der Fed bleiben wird. Yellen lebt als linke Demokratin auf einem anderen Stern als Präsident Donald Trump. Aber ihre lockere Geldpolitik erleichtert dem populistischen Präsidenten seine Haushaltspolitik. Also könnte er sie doch im Amt lassen ( siehe nebenstehenden Bericht).

Aus deutscher Sicht hätte die Zinswende in Europa längst da sein müssen

Eigentlich befinden sich die Notenbanker in Washington und Frankfurt gegenwärtig in einer komfortablen Situation. Ihre unorthodoxe Geldpolitik hat funktioniert. Die befürchtete Deflation ist ausgeblieben, die Weltwirtschaft erlebt einen der längsten Aufschwünge der jüngeren Geschichte. Und auch die Euro-Krise ist, wenn nicht gelöst, so doch zumindest eingedämmt. Aber jetzt ist das Instrument der niedrigen Zinsen erkennbar an seine Grenzen gekommen, die unvermeidlichen Schäden - Entmutigung der Sparer, Fehlleitung von Kapital, etwa in den Immobiliensektor - überwiegen.

Die mit Abstand wichtigsten Besucher: Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, und seine amerikanische Kollegin Janet Yellen, Chefin der Federal Reserve. (Foto: Bradly J. Boner/Bloomberg)

Aus deutscher Sicht hätte die Zinswende auch in Europa längst kommen müssen. Die Wirtschaft wächst, die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist so gut wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr, Deutschland nähert sich schnell der Vollbeschäftigung. Und der Bundesfinanzminister erwirtschaftet, auch dank Draghis Geldpolitik, beständig Überschüsse. In anderen Ländern sieht die Lage nicht so gut aus. Vor allem Italien mit seinem hohen Schuldenstand und seinem angeschlagenen Bankensystem gilt als fragil.

Unternehmer und Politiker fürchten im Falle einer Zinswende den weiteren Anstieg des Euro-Wechselkurses, der dann europäische Exporte in den Dollar-Raum teurer machen würde. Im Laufe dieses Jahres ist der Preis der Gemeinschaftswährung bereits von 1,04 auf 1,18 Dollar gestiegen, ganz anders als viele Experten im Zuge der ersten Trump-Euphorie an den Finanzmärkten geglaubt hatten.

Dass so viel über Draghis Pläne spekuliert wird, hat mit einer Rede des EZB-Präsidenten vom vergangenen Juli im portugiesischen Sintra zu tun. Dort hatte er versichert, dass seiner Meinung nach "alle Zeichen auf eine Stärkung und Verbreiterung des Aufschwungs hindeuten". An den Märkten war dies - fälschlicherweise - als Hinweis auf einen baldigen Kurswechsel der EZB gedeutet worden und hatte zu einem ungeplanten scharfen Anstieg des Wechselkurses geführt. Jetzt sind die EZB-Leute gebrannte Kinder und verhalten sich besonders vorsichtig.

Wie schwer eine Zinswende in der Praxis umzusetzen ist, hatte die amerikanische Fed schon vor vier Jahren erfahren müssen. Yellens Vorgänger Ben Bernanke hatte im Juni 2013 damit begonnen, über die langsame Normalisierung der Geldpolitik in den Vereinigten Staaten zu reden. Man nannte das damals tapering (für "auslaufen lassen"). Das Thema Tapering kam jedoch für die Finanzmärkte wie ein Schock, die Kurse von Anleihen und Aktien brachen ein, viel stärker, als Bernanke erwartet hatte. Erst ein halbes Jahr später, im Dezember, wagte Bernanke dann den langsamen Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes. Mario Draghi wird diese Episode sicher im Kopf haben, wenn er in Jackson Hole ans Rednerpult tritt.

© SZ vom 25.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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