Italien:Schimpfworte statt Küsse

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Seine inszenierten Selfies haben viel zum Erfolg von Lega-Chef und Vizepremier Matteo Salvini beigetragen. Seit kurzem aber ändert sich die Stimmung und Salvinis Nimbus der Unbesiegbarkeit ist dahin. (Foto: Fabio Di Pietro/picture alliance/AP Photo)

Kurz vor den Europawahlen, die den Erfolg von Italiens Innenminister und Vize-Premier Salvini krönen sollten, beginnt die Stimmung gegen den Rechtspopulisten zu kippen. Er gewinnt nicht mehr überall.

Von Oliver Meiler, Rom

Matteo Salvini wirkt plötzlich gereizt, manchmal sogar richtig entnervt. Die lächelnde Gelassenheit des Aufsteigers und Seriensiegers aus dem vergangenen Jahr: wie ausgeschaltet, fast über Nacht. Es läuft gerade einiges schief für Italiens Innenminister, und das just vor den Europawahlen, die seinen Triumph besiegeln sollen.

Alle italienischen Umfrageinstitute signalisieren in ihren jüngsten Erhebungen einen deutlichen Knick seiner rechten Lega. Der Meinungsforscher des Corriere della Sera registriert gar einen Einbruch um sechs Prozentpunkte. Salvinis Partei wird die Wahlen wohl zwar mit etwa 30 Prozent der Stimmen gewinnen, plus minus. Davon sind weiter alle Demoskopen überzeugt, obschon mehr als ein Drittel der italienischen Wähler sich noch nicht festgelegt hat. Doch die Kurve zeigt erstmals nach unten. Auch Salvinis persönliche Gunst im Volk erleidet eine kleine Trendwende.

Im Stammgebiet der Lega finden viele längst, Steuerpolitik wäre wichtiger als die Migrationsfrage

Es gibt mehrere Gründe dafür. Zunächst bezahlt er für die Korruptionsaffäre, die seinen engen Vertrauten und Berater Armando Siri umweht. Dem Senator aus dem innersten Machtzirkel der Lega wird vorgeworfen, er habe gegen Schmiergeld Unternehmer begünstigt, die der sizilianischen Mafia nahestehen. Dafür kann Salvini wahrscheinlich nichts. Doch er stützte seinen Mann auch noch, als längst klar war, dass die Cinque Stelle, seine Regierungspartner, Siri aus dem Kabinett werfen würden. Wider alle Einwände Salvinis. Siri wurde tatsächlich entlassen, und Luigi Di Maio, der oft belächelte Chef der Cinque Stelle, kann nun behaupten, er habe die Regierung vor einem moralischen Schaden bewahrt. Politisch wichtiger noch: Salvinis Nimbus der Unbesiegbarkeit ist weg.

Seitdem streiten die beiden nur noch, über alles, vor allem aber über die Migrationspolitik. Am Wochenende sagte Salvini, er werde ein neues Sicherheitsdekret in den Ministerrat bringen, das seine Blockadepolitik ausweiten werde: zwölf Artikel, alles sei vorbereitet. Ein Paragraf handelt davon, dass künftig internationale Hilfsorganisationen im Mittelmeer, die Migranten vor den Küsten Libyens aufnehmen und nach Italien bringen, mit Geldstrafen belegt würden - 3500 bis 5500 Euro für jeden Passagier. Italienischen NGOs droht Salvini zudem mit dem Entzug der Lizenzen. Geldbußen für die Rettung von Menschen in Seenot? Di Maio spricht von einer "Provokation", einer "ultrarechten" Agitation. Salvini wolle nur von seinen Misserfolgen bei der Repatriierung abgewiesener Zuwanderer ablenken. Außerdem, sagte Di Maio noch, fielen die italienischen Häfen in die Kompetenz des Transportministers und nicht des Innenministers. Premier Giuseppe Conte ließ ausrichten, dieses Dekret werde es gar nicht erst in den Ministerrat schaffen, dafür werde er schon sorgen. "Es ist, als müsste eine Ambulanz dafür büßen, dass sie Patienten ins Krankenhaus fährt - einfach absurd", sagte Claudia Lodesani, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen.

Die Kriminalisierung der Helfer hat nun immer öfter tragische Folgen. Erneut sind vor Tunesiens Küste mindestens 65 Menschen umgekommen, die in Libyen abgelegt hatten und in Not gerieten. Glück hatten 136 Flüchtlinge auf mehreren Booten, die am Wochenende die italienische Marine, die Küstenwache und das NGO-Schiff Mare Jonio rettete und nach Italien brachte. Es sieht so aus, als funktioniere Salvinis Abschottungs- und Ausweisungspolitik gar nicht so gut, wie er immer erzählt.

Im Norden, dem Stammgebiet der Lega, finden ohnehin viele, Salvini konzentriere sich zu stark auf die Migrationsfrage. Es wäre ihnen lieber, er würde die Steuern senken und den reichen Regionen Lombardei, Veneto und Emilia Romagna mehr Autonomie verschaffen, wie er das versprochen hatte. Selbst in seiner Partei regt sich Unmut. Es gibt da bekannte Leute, die es vorziehen würden, wieder mit Silvio Berlusconi und dessen bürgerlicher Forza Italia zu regieren statt mit den Cinque Stelle. Wie einst.

Neu ist auch, dass Salvini nun bei seinen vielen öffentlichen Auftritten auf den Piazze des Landes, die er alle locker füllt, auch mit lauten, unliebsamen Chören konfrontiert wird. Früher hätte er ihnen "bacioni" zugeworfen, dicke Küsse, und sie "amici" geheißen. Jetzt nennt er sie "Zecken", "Kiffer", "rotes Ungeziefer". Besonders irritieren ihn jene, die sich als Fans ausgeben, in die Schlange stellen für ein Selfie und dann die Aktionen, die Salvini zur Selbstdarstellung in den sozialen Medien braucht, mit kleinen Persiflagen sabotieren. Auf Sizilien küssten sich zwei Frauen im Moment des Klicks, einmal versuchte ein junger Mann, ihn auf die Wange zu küssen. Salvini fand das nicht so lustig, er flirtet nun mal gerne mit homophoben Kreisen.

Ironie ist nicht so sein Ding, zumal wenn sie seine politischen Widersprüche entlarvt. In Salerno bei Neapel stellte sich eine Frau neben ihn und sagte: "Und, sind wir Süditaliener jetzt keine beschissenen Erdfresser mehr?" Salvini mochte nicht an seinen alten Slogan erinnert werden. Er forderte die Frau auf, das Video zu löschen. Die Szene ging schnell viral. Und so steht nun ausgerechnet ein Selfie für die erste Entzauberung des "Capitano".

© SZ vom 13.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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