Italien:Mehr Schutz gewünscht

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Die Regierung in Rom verlängert den umstrittenen Migrations­pakt mit Libyen. Sie verlangt aber immerhin, dass die Flüchtlinge besser geschützt werden.

Von Oliver Meiler, Rom

Aller Kritik zum Trotz hat Italien sein Migrationsabkommen mit Libyen verlängert. Allerdings sollen die Rechte der Migranten besser geschützt werden, sowohl in den libyschen Lagern als auch bei den Abfangaktionen vor den Küsten, heißt es in einer Verbalnote, die Rom nach Tripolis sandte. Aber das Fundament des Memorandums bleibt unangetastet. Luigi Di Maio, Italiens Außenminister von den Cinque Stelle, rechtfertigt die Entscheidung so: "Wenn wir das Abkommen insgesamt aufkündigen, würde das die Tore für 700 000 Migranten öffnen, die nur darauf warten, in Libyen abzulegen und zu uns zu kommen." Die grob geschätzte Zahl ist umstritten, wie so vieles in dieser Geschichte.

Unterzeichnet wurde das Abkommen im Februar 2017, in einer Phase starker Migration. Allein im Jahr 2016 hatten 160 000 Menschen übergesetzt, manchmal waren es mehrere Tausend an einem einzigen Tag. Die italienischen Fernsehnachrichten wurden zu Bulletins der Ankünfte. In Rom regierten damals die Sozialdemokraten, Ministerpräsident war Paolo Gentiloni. Dieser geriet zusehends unter Druck, das Phänomen in den Griff zu bekommen. Der Druck verstärkte sich noch, als die Partnerstaaten in der Europäischen Union das Land allein ließen.

Italien hat es versäumt, Libyen Ferngläser, Jeeps, Busse und Satellitentelefone zu liefern

Innenminister war damals Marco Minniti, ein Postkommunist mit harter Hand, der sogar der Rechten gefiel. Minniti handelte eine umfassende Abmachung mit den Libyern aus, reiste dafür mehrmals in die frühere italienische Kolonie, besuchte Stammesälteste und Bürgermeister im Süden und versprach Tripolis Ausbildung und Schiffe für eine Küstenwache. Bald gab es Gerüchte, Minniti habe in einem parallelen Deal auch den Milizen, die bis dahin als Schlepper gearbeitet hatten, eine Millionensumme versprochen, wenn sie jetzt mithelfen würden, die Schiffe am Ablegen zu hindern. Er dementierte dies stets.

Doch nur einige Monate nach der Unterzeichnung des Memorandums brach die Zahl der Überfahrten drastisch ein - und das mitten im Sommer, in der intensivsten Reisezeit. Die Linke glaubte, die plötzlich erwirkte Trendwende, die bis heute anhält, würde ihr innenpolitisch helfen. Theoretisch grub sie damit ja der fremdenfeindlichen Rechten um Matteo Salvini das Wasser ab. Dafür nahm man auch moralische Kompromisse in Kauf. Milizionäre wurden über Nacht zu Küstenwächtern. Ein bekannter Schleuserboss und Brigadenchef, der 30-jährige Abd al-Rahman al-Milad, besser bekannt als "Bija", reiste mit offiziellen Delegationen nach Rom zu Unterredungen im Innenministerium. Das Nachrichtenmagazin L'Espresso zeigte neulich ein Foto: "Bija" neben Ministern und Würdenträgern.

Auch deshalb sprechen NGOs immer nur von der "sogenannten libyschen Küstenwache". Mehr als 38 000 Migranten hat diese in den vergangenen zwei Jahren abgefangen und zurück nach Libyen gebracht. In Rom und Brüssel nahm man das hin, obschon das vom Krieg zerrissene Land insgesamt kein sicherer Hafen ist. In Libyen wurden die Migranten in Lager gesteckt, von denen es hieß, sie seien "Auffangzentren". Inspektionen aber zeigten, dass die Lager Gefängnisse sind. Es wird darin gefoltert, vergewaltigt, auch getötet. Die Vereinten Nationen sprachen einmal von "unvorstellbarem Horror".

Dort sollen die Neuerungen nun ansetzen. Die Italiener fordern, dass zumindest zu den 19 Lagern, die von der libyschen Einheitsregierung verwaltet werden, internationale Organisationen uneingeschränkt Zutritt erhalten. Das ist im Moment nicht der Fall, obwohl auch aus Brüssel reichlich Geld fließt. Ziel ist es, alle diese Lager zu leeren. Wer Recht auf Asyl in Europa hat, soll über humanitäre Korridore ans Ziel kommen. Wer bereit ist, die Flucht auf halbem Weg abzubrechen und freiwillig in die Heimat zurückzukehren, der soll mit Charterflügen reisen können.

Die Frage ist nur, ob die Libyer mitmachen. In einer ersten Reaktion ließ die Regierung in Tripolis ausrichten, man sei zu Änderungen am Memorandum bereit, doch müssten diese auch in ihrem Sinne sein. Die Zeitung Corriere della Sera schreibt, Tripolis dringe darauf, dass die Italiener eine ganze Reihe versäumter Gegengeschäfte einlösten: Satellitentelefone, Ferngläser für die Nacht, Lieferwagen, weitere Schnellboote, 30 Jeeps, Krankenwagen, Busse, Sauerstoffflaschen für Tauchoperationen - Material für etwa 800 Millionen Euro. Diese Zahl steht offenbar in einem Anhang des Memorandums. Ausgeliefert wurden die Hilfsmittel noch nicht.

Vielleicht fordern die Libyer jetzt auch mehr. Die Aussichten, dabei erhört zu werden, stehen gut. Denn die neue italienische Regierung aus Cinque Stelle und Partito Democratico kann sich eine totale Kehrtwende in der Migrationspolitik aus innenpolitischen Gründen kaum leisten. Salvini wartet nur darauf. Am Wochenende, als ein italienisches Frachtschiff die Rettung von 200 Migranten auf zwei Schlauchbooten vor Libyen meldete und die Alan Kurdi der Rettungsorganisation Sea Eye mit 88 Passagieren Kurs auf Taranto nahm, twitterte Italiens ehemaliger Innenminister: "Die Invasion hat wieder begonnen: Ist die Regierung Komplizin oder unfähig?"

© SZ vom 04.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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