Italien:Küsse für den Rosenkranz

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Matteo Salvini hat seine rechte Lega zur stärksten Partei gemacht. Nun will der Hardliner sein Image ändern.

Von Oliver Meiler, Rom

Salvini und sein bevorzugtes Gegenüber: die Smartphone-Kamera. (Foto: Remo Casilli/Reuters)

Matteo Salvini lässt sich seine Emotionen normalerweise nicht ansehen, er versteckt sie hinter einem maskenhaften Lächeln. Oft wirkt er wie ein Sprechautomat, der Kaskaden von Reihensätzen ausspuckt, meist sind es dieselben. Diesmal nicht. Diesmal hatte sein Reden eine andere, samtenere Kadenz.

Es war kurz vor ein Uhr in der Früh, die Hochrechnungen der staatlichen Rai hatten erst eine Deckung von zwanzig Prozent erreicht, da trat der Innenminister und Vizepremier schon vor die Mikrofone, um zu danken. Zunächst einmal "dem da oben". Er hatte wieder einen Rosenkranz in der Hand, das Kreuz führte er mehrmals zum Mund, küsste es, die Kameras zoomten heran. Die Italiener, so macht es den Anschein, sollen ihn ab sofort als einen anderen sehen. Gemäßigt wie ein Christdemokrat, gläubig, emotional. Und müde. Er rede jetzt, sagte er, damit die Zuschauer dann ins Bett gehen könnten, sie müssten ja früh wieder raus und zur Arbeit gehen. "Al lavoro."

Salvinis rechtsnationalistische Lega hat die Europawahlen in Italien mit einer Wucht gewonnen, wie es in den vergangenen Wochen niemand mehr für möglich gehalten hätte. Mit 34,3 Prozent. Vor fünf Jahren, als Salvini die Partei gerade erst übernommen hatte, schaffte sie 6,2 Prozent. Er hat sein Kapital also verfünffacht - im Solo gewissermaßen und mit einem einzigen Thema, der Abschottung des Landes vor der Migration über das Mittelmeer. Auch der Vergleich mit den nationalen Parlamentswahlen im März 2018 ist frappant: Er steht nun genau doppelt so stark da. Die Lega ist Italiens stärkste Partei, und das ganz deutlich.

Für Salvini zahlt sich aus, dass er als starker Mann wahrgenommen wird, ein immer wiederkehrendes Rollenmodell in der italienischen Geschichte. Er trägt eine klare politische Identität vor sich her und rückt nie davon ab, obschon sie polarisiert. In den vergangenen Monaten tourte er wie ein nimmermüder Rockstar von Piazza zu Piazza: In seinem Ministerium war er nur selten. Und da er parallel dazu auch noch durch die sozialen Netzwerken schwirrte, war es, als schlafe er nie. Die ganze Energie für diesen Triumph, für den Umsturz.

Politologen werden den Fall noch lange studieren. Salvini gelang es nämlich, das Machtverhältnis innerhalb der populistischen Regierung in weniger als einem Jahr umzudrehen. Er war der Juniorpartner der Cinque Stelle, die bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr fast 33 Prozent gewonnen hatten. Nun ist es genau umgekehrt. Und Salvini gibt alles vor, Themen und Fristen. Es gehe ihm ums Programm, nicht um Posten, sagte er, nur um das fare, das Machen. Man hörte Silvio Berlusconi reden.

Doch so "ruhig", wie Salvini das Regieren mit "meinen Freunden" von den Cinque Stelle sieht, wird es nicht werden. Salvini erwartet jetzt, dass die Fünf Sterne eine Reihe von Blockaden aufgeben, die im Norden Italiens nicht so gut ankommen: das Veto gegen die Schnellzugverbindung zwischen Turin und Lyon zum Beispiel, jenes gegen die Einführung einer "Flat Tax", eines einzigen und tiefen Steuersatzes für alle, und die Abneigung gegen die Autonomie für einige norditalienische Regionen, ein altes Paradethema der Lega.

Machen die Sterne da nicht mit, wird Salvini behaupten können, er habe alles versucht, sei aber leider an der Rückständigkeit der Partner gescheitert. So ließe sich eine Regierungskrise rechtfertigen - etwa im kommenden Herbst, wenn die Populisten aus ihren vielen Versprechen einen einigermaßen ausgewogenen Haushaltsplan für 2020 machen müssen. Gäbe es Neuwahlen, könnte sich Salvini wieder mit seinen alten Alliierten der Rechten präsentieren. Summiert man die Stimmen von Lega, Forza Italia und den postfaschistischen Fratelli d'Italia, bringt es diese Koalition auf fast 50 Prozent. Und Salvini wäre ihr unumstrittener Leader.

Für die Cinque Stelle dagegen ist die Lage verheerend. Im Vergleich zu 2018 haben sie mehr als sechs Millionen Stimmen verloren, die meisten davon an die Lega. Sie stehen bei 17,1 Prozent. Sogar der Partito Democratico überflügelt die Sterne mit 22,7 Prozent der Stimmen. Das macht die Schmach der Niederlage doppelt bitter, denn die Sozialdemokraten haben kaum Opposition betrieben, sie haben weder ein Programm noch eine charismatische Führung.

"Wir hören nun Radio Maria und gregorianische Chöre", sagte Beppe Grillo, der Gründer der Cinque Stelle, mit Ironie. Er spielte auf Salvinis plötzlich entdeckte Spiritualität an. Der große Verlierer dieser Wahlen ist Luigi Di Maio, der junge "Capo politico" der Bewegung. Grillos Mann. Alles hat Di Maio falsch gemacht. Früher unverhandelbare ökologische und moralische Prinzipien seiner Partei gab er gleich im Dutzend auf. Der Bürgerlohn enttäuschte die Hoffnung vieler Wähler. Stattdessen ließ sich Di Maio von Salvini einspannen für dessen harte, fremdenfeindliche Immigrationspolitik. Die Umarmung des Juniorpartners - sie erdrosselte ihn. Die Seele der Cinque Stelle erkaltete zusehends.

Nun wird man ihm in der Partei wohl den Prozess machen. Di Maio aber wird sich so lange an der Macht festklammern wollen wie nur möglich. Denn stürzt die Regierung, ist seine Karriere vorbei. Die Cinque Stelle haben sich eine Begrenzung auf zwei Parlamentsmandate auferlegt. Es ist das letzte Prinzip, das noch steht. Di Maio ist schon beim zweiten Mandat angelangt.

© SZ vom 28.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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