Italien:Eine Reform, 82 Millionen Änderungsanträge

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Stemmt sich mit allen Tricks gegen die Verkleinerung des Senats: Roberto Calderoli von der Lega Nord. (Foto: Ettore Ferrari/dpa)
  • Im italienischen Senat wird über eine Verfassungsreform debattiert, die einen Kompetenzverlust seiner Mitglieder zur Folge hätte.
  • Ein Senator der Lega Nord will das Gesetz verhindern, indem er eine Flut von Änderungsanträgen auf den Weg bringt.
  • Dabei hilft ihm der Algorithmus eines Computerprogramms.

Von Oliver Meiler, Rom

In Italien ist Politik immer wieder auch eine Bühne für gerissene Trickspieler. Viele dieser Tricks beherrschten schon die Politiker im alten Rom. Nun aber gibt es eine Neuerung, die den Rahmen sprengt. Buchstäblich.

Im Senat, der kleineren Kammer des Parlaments, wird in diesen Tagen über eine Verfassungsreform debattiert, nach deren Umsetzung ebendieser Senat zwei Drittel seiner Mitglieder und einen Großteil seiner Kompetenzen verlöre. Premier Matteo Renzi will es so, weil sich das Land danach besser regieren ließe. Und mittlerweile, nach tausend Dramen und einigen minimalen Anpassungen, will dies auch der rebellische Flügel seines Partito Democratico so. Unter den Genossen ist gar so etwas wie Harmonie entstanden, ganz zum Ärger der rechten Opposition. Renzi dürfte seine bisher wichtigste Reform bald durchbringen.

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Bald? Ein Senator aus dem gegnerischen Lager hat sich eine Verzögerungstaktik ausgedacht, mit der er den Zeitplan des Premiers spektakulär stören könnte. Roberto Calderoli von der Lega Nord, früher Reformminister und nun Vizepräsident des Senats, präsentierte eine solche Masse an Abänderungsanträgen für jeden einzelnen Artikel der Reform, dass die administrativen Dienste des Senats, wenn sie alle prüfen müssten, viele Jahre bräuchten. 82 730 460 Vorschläge sind es insgesamt.

Die Filibusterei, wie man sie von den Dauerrednern aus Washington kennt, mutet da im Vergleich wie eine Kinderei an. Nicht auszudenken, wie viel Papier bedruckt werden müsste, wenn allen 322 Senatoren der gesamte Katalog der Anträge schriftlich ausgehändigt würde, wie das üblich ist.

DIe Kombinationsmöglichkeiten des "Article Spinning" sind unendlich

Formuliert hat Calderoli die Abänderungen natürlich nicht selber. Sie wurden vom Algorithmus eines Computerprogramms generiert. "Article spinning", so heißt das Programm, ersetzt Wörter aus dem Originaltext mit Synonymen und Antonymen, platziert Punkte und Kommas anders, ordnet die Reihenfolge aufgeführter Namen neu. Die Kombinationsmöglichkeiten sind schier unendlich. Calderoli hatte sich Hilfe bei einem Informatiker geholt, doch zunächst gab es da ein Problem: Die Dienstcomputer im Senat kollabierten unter der Datenmasse. Und so kaufte er drei potentere Rechner. "Von meinem eigenen Geld", betont Calderoli, als wollte er sich als selbstlosen Retter des Vaterlandes verstanden wissen. So sieht er sich nämlich. "Diese Reform", sagt Calderoli, "ist gefährlich. Das Modell orientiert sich am Faschismus oder am Nationalsozialismus."

Allzu wörtlich sollte man Calderoli nicht nehmen. Der gelernte Zahnarzt aus Bergamo gefällt sich in seinen Paraderollen als Provokateur, Übertreiber - und Trickser. Berühmt wurde Calderoli vor einigen Jahren, als er das von ihm persönlich erdachte Wahlgesetz schelmisch triumphierend eine "porcata" nannte, eine Schweinerei. Nun also Obstruktion 2.0, Opposition mit Algorithmus.

Italiens Ministerpräsident Renzi bezeichnet die Methode als "lächerlich", aber lachen mag er darüber nicht. Der linke Fraktionschef Luigi Zanda spricht von einem "Sabotageakt". Und Senatspräsident Pietro Grasso sagte, er werde nicht zulassen, dass Calderoli mit "diesem Angriff auf die Würde der Institutionen" die Kammer blockiere. Es gibt offenbar Möglichkeiten, den Bremser zu bremsen und die Anträge massenweise zu entkräften und in einem Schwung abzulehnen. Eine läuft unter dem Begriff "Känguru" - eine andere unter dem noch plastischeren Terminus "Guillotine".

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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