Italien:Ein Fest der Schulden

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Triumphierend verkündet Italiens Populistenregierung "das Ende der Armut": Trotz dramatischen Staatsdefizits will sie viel mehr ausgeben. Die Märkte reagieren prompt.

Von Oliver Meiler und Alexander Mühlauer, Rom/Brüssel

Stolz auf den Sieg über die Sparpolitik: Vizepremier Luigi Di Maio (3. v. li.) und Kabinettskollegen in Rom auf dem Balkon des Palazzo Chigi. (Foto: Alessandro Di Meo/AP)

Triumph treibt manchmal kuriose Blüten, in diesem Fall wirken sie gar surreal. Es war schon später Abend, und die Ministerratssitzung zum Haushalt gerade erst zu Ende, da zeigten sich die Regierungsmitglieder der Cinque Stelle auf dem Balkon des Palazzo Chigi, dem Sitz des Premiers im Herzen von Rom. Sie klatschen sich selber üppig zu, formten Zeige- und Mittelfinger zum "V", dem Siegeszeichen, lachten dazu ausgelassen. Unten, auf der Piazza, hatten sich einige Dutzend Anhänger und Parlamentarier der Partei zu einem Flashmob mit Fahnen versammelt, die ihrerseits klatschten und jubelten. Es war, als habe man gerade die Meisterschaft gewonnen.

Nun, es ist alles etwas prosaischer. Italiens populistische Regierung aus Fünf Sternen und rechter Lega hat einfach mal beschlossen, sehr viel mehr neue Schulden zu machen, als Rom es einst mit Brüssel ausgemacht hatte. Damit will man wenigstens ein bisschen von dem umsetzen, was man den Wählern versprochen hat. Zum Beispiel eine Art Grundeinkommen für zunächst 6,5 Millionen Arme und Arbeitssuchende, außerdem bessere und frühere Renten für einige Kategorien sowie eine Steuerreduktion für 400 000 Kleinbetriebe. Das kostet natürlich Milliarden. Die Italien nicht besitzt. Von Kostenschnitten aber redet niemand. Und so peilt die Regierung ein Defizit von 2,4 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung an. Vereinbart wären eigentlich 0,8 Prozent gewesen.

Die Fünf Sterne feiern das Überwinden jeder buchhalterischen Vernunft

Das Triumphgefühl der Cinque Stelle und ihres Chefs Luigi Di Maio rührt daher, dass sie sich über alle buchhalterische Vernunft hinwegsetzen konnten. Sie haben dabei auch gleich den eigenen, viel disziplinierter gestimmten Wirtschafts- und Finanzminister Giovanni Tria an die Wand gespielt. Als wäre er ihr Gegner. Zum ersten Mal seit der Machtübernahme der Populisten nahm man die Sterne überhaupt wirklich wahr, oben auf dem Balkon. Bis dahin hatte Koalitionspartner Matteo Salvini mit seiner harten Linie gegen die Migranten die Bühne ganz allein beherrscht. In seiner Euphorie sagte Di Maio: "Mit diesem Haushalt schaffen wir die Armut ab."

In Brüssel stießen die römischen Pläne auf scharfe Kritik. "Es ist ein Budget, das außerhalb der Grenzen unserer gemeinsamen Regeln zu sein scheint", sagte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Italien würde zwar die europäische Drei-Prozent-Grenze für das Defizit einhalten, aber die Staatsverschuldung liege schon bei 132 Prozent der Wirtschaftsleistung - das sei "explosiv". Erlaubt sind nach dem Stabilitätspakt höchstens 60 Prozent, also weniger als die Hälfe des römischen Schuldenbergs. "Es kann nicht im Interesse Italiens und der Italiener sein, sich zu verschulden", sagte Moscovici. "Jeder Euro, der für die Rückzahlung der Schulden ausgegeben wird, ist ein Euro weniger für Autobahnen, für Bildung und für soziale Gerechtigkeit." Am Ende sei es "immer die Bevölkerung, die bezahlt", so der Kommissar.

Es sind deutliche Worte, die den Ton für die kommenden Monate setzen. Italien muss seinen Haushaltsentwurf bis zum 15. Oktober in Brüssel einreichen. Die EU-Kommission hat dann bis Ende November Zeit, ihr Urteil zu fällen. So lange will Moscovici nicht warten. Er kündigte an, umgehend Gespräche mit der Regierung in Rom aufzunehmen, schließlich habe man "kein Interesse an einer Krise zwischen der Kommission und Italien". Sanktionen seien theoretisch möglich, er habe aber kein "Sanktions-Denken", versicherte Moscovici.

Auch EU-Diplomaten warnten am Freitag davor, Italiens Regierung zu drohen. "Wenn wir gleich die Sanktionskeule herausholen, machen wir nur, was Di Maio und Salvini wollen", sagte ein hochrangiger Vertreter. Tatsächlich haben Lega und Cinque Stelle die Europawahlen im Blick.

In Brüssel will man daher eine Eskalation vermeiden und setzt auf die Überzeugungskraft der Finanzmärkte. Am Freitag gab es erste klare Reaktionen auf die römischen Haushaltspläne: Die Kurse italienischer Banken fielen, die Rendite für zehnjährige italienische Staatsanleihen zogen an. Für Rom wird es teurer, sich zu verschulden. Wie es weitergeht, hängt davon ab, wie die Verhandlungen zwischen Rom und der EU-Kommission nun laufen. Wobei nicht klar ist, wer für die italienische Regierung spricht. Di Maio? Salvini? Oder doch Tria? Diese und andere Fragen dürfte sich der parteilose Finanzminister am Montag beim Treffen mit den EU-Kollegen in Luxemburg gefallen lassen müssen.

In der Nacht der Entscheidung soll Tria nahe dran gewesen sein, sein Amt aufzugeben - desavouiert auf der ganzen Linie. Nur ein Anruf des Staatspräsidenten hat ihn davon abgehalten. Italienische Zeitungen zitieren den römischen Wirtschaftsprofessor mit den Worten, er bleibe nur aus "patriotischen Gründen". Was Tria damit wohl sagen wollte: Hätte er jetzt demissioniert, wären die Märkte womöglich noch alarmierter gewesen, als sie es wegen der expansiven Defizitpolitik schon sind. Andererseits fragt sich, wie viel Einfluss dieser Mann noch hat, nachdem er sich vorführen lassen musste von beiden Parteien.

Zur Erinnerung: Als er Finanzminister wurde, hieß es, Tria wirke wie ein Damm gegen allfällige Verrücktheiten des neuen, größtenteils unerfahrenen Kabinetts, man könne getrost in die Zukunft blicken. Das war vor vier Monaten.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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