Italien:Doch kein Regierungssturz

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Kritiker nennen Justizminister Alfonso Bonafede eine „brava persona“, einen netten Menschen. Gemeint ist: ein Leichtgewicht. (Foto: Remo Casilli/Reuters)

Enttäuschung für Matteo Salvini: Die geplante Absetzung des Justizministers scheitert.

Von Oliver Meiler, Rom

Italiens Politik, das lehrt die Geschichte, folgt oft sonderbaren Drehbüchern. Mit Volten und dramatischen Kapriolen. Improvisiert ist fast nichts, auch wenn es manchmal den Anschein hat. Am Mittwoch war wieder so ein Moment, von dem zumindest die Opposition um Matteo Salvini von der rechten Lega ein bisschen hoffte, er könnte sie urplötzlich zurück ins Spiel bringen. Mit einem Regierungssturz, ausgerechnet in dieser schwierigen Zeit.

Man fand sich im Senat ein, um über das Schicksal des Justizministers zu befinden. Gegen Alfonso Bonafede, 43 Jahre alt, aus dem sizilianischen Mazara del Vallo, prominentes Mitglied der populistischen Cinque-Stelle-Partei, waren gleich zwei sehr unterschiedliche Misstrauensanträge eingebracht worden. Alle wussten: Kommt einer davon durch, ist die Regierung am Ende. Und so war das Haus voll wie an ganz großen Tagen, obschon die Umstände ja kompliziert waren: Abstandswahrung, Maskenpflicht. Auch der parteilose Premier Giuseppe Conte war da.

Dem Justizminister wird vorgeworfen, dass Mafia-Bosse aus dem Gefängnis freikamen

Bonafede wird unter anderem vorgeworfen, dass unter seinen Augen nicht nur Tausende Kleinkriminelle aus den heillos überfüllten Gefängnissen entlassen wurden, um dem Ausbruch von Corona einzudämmen, sondern auch Hunderte Mafiosi, die von dieser Maßnahme nicht hätten profitieren sollen. Sogar drei große Bosse waren dabei, alle drei betagt und krank. Die Empörung in Volk und Medien war groß. Der Justizminister entscheidet zwar nicht über Hafterleichterungen, dafür gibt es Strafvollzugsrichter. Und niemand bezichtigt Bonafede, er sei ein Komplize der Mafia. Letztlich trägt der Justizminister aber doch die politische Verantwortung dafür, was in den Gefängnissen passiert.

Gleich mehrere Senatoren, auch seine wortgewaltigsten Kritiker, nannten ihn eine "brava persona", einen netten Menschen. Im vermeintlichen Lob steckte der wahre Vorwurf: Viele halten Bonafede für eine Fehlbesetzung, für ein Leichtgewicht in einem schweren Ressort. In anderen Zeiten wäre er schon längst gefallen.

Entscheidend war mal wieder Matteo Renzi, der frühere Premier, und seine kleine Partei Italia Viva. Ohne ihre 17 Senatoren bringt es Conte nicht auf eine Mehrheit in der kleinen Kammer, und das lässt Renzi ihn gerne spüren. Ein ständiges Machtspiel ist das, ein römischer Thriller. Kurz vor der Sitzung schrieb Renzi auf Facebook: "Mein Auftritt heute im Senat ist einer der schwierigsten in meiner politischen Karriere." Bricht er tatsächlich? Jetzt?

Salvini leidet darunter, dass er nicht mehr öffentlich auftreten darf

Die Nachrichtensender übertrugen live, auf den Rängen der oppositionellen Lega wuchs die Hoffnung. Und Renzi, gut gelaunt und braun gebrannt, wartete die lange Rechtfertigung des Ministers ab, baute sich dann hinter dem Mikrofon auf, erzählte von den vielen Vorwürfen der Cinque Stelle gegen sich und seine Familie - und verschonte dann Bonafede. Man reiche ihm da eine Rachemöglichkeit auf einem Silbertablett, sagte Renzi, aber er verzichte großmütig. Für das Wohl der Nation. Beide Misstrauensanträge fielen durch, obschon die Lega bei beiden mit Ja gestimmt hatte.

In der Politik ist Großmut selten umsonst. Man hört, Conte habe Renzis Italia-Viva-Partei allerlei Posten angeboten und Reformen versprochen. Wahrscheinlich wird man nun etwas ruhiger miteinander regieren. Für den oppositionellen Salvini ist das eine schlechte Nachricht, eine von vielen. Seine persönliche Gunst im Volk schwindet in der Krise. Gemäß jüngsten Umfragen steht er nun bei 29 Prozent, während Conte noch immer 59 Prozent der Italiener hinter sich weiß. Konkurrenz erwächst Salvini auch in der eigenen Partei: Luca Zaia, Gouverneur im Veneto, wird nun, nachdem er Corona in seiner Region vergleichsweise schnell unter Kontrolle gebracht hat, von vielen bereits als möglicher nationaler Anführer der Lega gehandelt. Auch Giorgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia, ist mittlerweile beliebter im Volk als Salvini. Was die Lega verliert, gewinnt Meloni dazu.

Der Lega-Politiker Salvini leidet darunter, dass er nicht mehr öffentlich auftreten darf: Die Piazza ist sein liebstes Biotop. Am kommenden 2. Juni, dem italienischen Nationalfeiertag, wollten alle rechten Parteien im Land gegen die Regierung und deren Krisenmanagement protestieren. Die Erlaubnis dazu hatten sie, mit den üblichen Auflagen. Nun aber sagt Salvini, man verschiebe lieber alles auf Juli, das sei sicherer. Der Zeitpunkt ist aber vor allem politisch nicht der günstigste. Alles läuft schief, nun schickt sich sogar die angefeindete Europäische Union an, Italien massiv zu helfen. Mit vielen Milliarden für den Wiederaufbau, vielleicht sogar ganz ohne Rückerstattungspflicht. Das macht das Opponieren der Nationalisten natürlich schwierig - und das Protestieren auf der Piazza.

© SZ vom 22.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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