Italien:Der kleine Bruder soll es richten

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Nicola Zingaretti ist alles andere als ein Polit-Neuling, die meisten Italiener kennen aber eher seinen Bruder, den Darsteller des TV-Kommissars Montalbano. (Foto: Valerio Portelli/dpa)

Die italienischen Sozialdemokraten haben einen neuen Chef: Nicola Zingaretti soll die Partei aus der Krise führen. Bisher stand er im Schatten seiner prominenten Verwandtschaft.

Von Oliver Meiler, Rom

Aus dem Schatten, über Nacht. Nicola Zingaretti, der neue italienische Oppositionschef, frisch gewählter Parteisekretär des sozialdemokratischen Partito Democratico, war in seinem Leben immer "il fratello piccolo", der kleine Bruder. Jünger, schüchterner und vor allem weniger bekannt als sein Bruder, der Schauspieler Luca Zingaretti. Der gibt schon so lange Salvo Montalbano, den Polizeikommissar im Fernsehen, dass er den Italienern mit seinen lieblichen Unzulänglichkeiten wie ein Verwandter vorkommt. Nur Fußball und das Musikfestival von Sanremo machen mehr Quote als Montalbano, dem kürzlich wieder elf Millionen zuschauten.

Die äußerliche Ähnlichkeit ist frappierend, ihr Lächeln ist identisch. Bei den Primärwahlen der Sozialdemokraten, die Nicola am Sonntag in dieselbe Prominenzkategorie wie Luca katapultieren sollten, interviewte der Nachrichtensender Sky TG 24 einen Mann in Bologna, der seine Präferenz so ausdrückte: "Ich habe Montalbano gewählt, Sie wissen schon." Etwa 1,7 Millionen nahmen an der Urwahl teil, viel mehr als erwartet. Von ihnen stimmten knapp siebzig Prozent für den "fratello piccolo", und auch das war viel mehr als erwartet. Als Zingaretti am späten Sonntagabend vor seine Anhänger trat, hatte er eine ausformulierte, lange Rede dabei, mit allen seinen politischen Referenzen und einem Haufen Aphorismen.

Viel Zeit sollte die Partei ja auch nicht mehr verlieren. Ein Jahr lang hatte Italien keine Opposition, die Sozialdemokraten waren wie gelähmt: ohne Anführer, ohne Programm, vermeintlich ohne Volk. Die Cinque Stelle und die rechte Lega, die Sieger der Parlamentswahlen vom 4. März 2018, regierten in dieser Zeit ohne Gegenwind, nicht einmal ein Lüftchen Widerstand wehte da. Zingaretti soll sich nun Matteo Salvini entgegenstellen, dem Innenminister und starken Mann der Regierung. Man kann sich kaum zwei unterschiedlichere Politiker vorstellen. Ihre einzige Ähnlichkeit: dass beide im Leben nichts anderes als Politik gemacht haben.

Zingaretti soll sich Matteo Salvini entgegenstellen. Dazu muss er die progressiven Kräfte mobilisieren

Zingaretti sagt gerne von sich, dass er jetzt schon regiere. Er ist Gouverneur des Lazio, Italiens wirtschaftlich zweitstärkster Region. Vor einem Jahr wurde er gegen den Trend in seinem Amt bestätigt. Davor hatte er schon die Provinz Rom regiert. Er war auch für eine Legislaturperiode Europaparlamentarier. Groß wurde Zingaretti in der Jugend des Partito Comunista, er machte dann alle Wandlungen der Partei mit. Als vor zehn Jahren Kommunisten und Christlichsoziale im Partito Democratico zusammenflossen, war er einer der Geburtshelfer der Partei - allerdings ein relativ unbemerkter. Zingaretti kommt aus dem linken, postkommunistischen Flügel.

Bei Parteiwahlen habe er nie für Matteo Renzi gestimmt, sagte er nun nach seinem Sieg, und diese Präzisierung dient der ideologischen Verortung. Der frühere Premier und Parteisekretär ist sein interner Gegenspieler: ein Sozialliberaler, ein Reformer vom "Dritten Weg", die italienische Antwort auf Tony Blair. Zingaretti, so viel lässt sich schon mal sagen, steht viel weiter links als Renzi. Ob die beiden jemals zusammenfinden werden? Zingaretti sagt man nach, er könne gut mit Menschen, auch mit politischen Gegnern. Er ist leise, ein Mittler und Zuhörer. "Ich will nicht der Chef sein", sagt er, "sondern nur der Anführer einer Gemeinschaft." Von deren Breite hängt nun alles ab. Die Partei allein ist viel zu schwach, um den Regierenden gefährlich zu werden. In den Umfragen steht sie bei etwa 19 Prozent.

Vielleicht schafft es Zingaretti aber, alle progressiven, europafreundlichen und grünen Kräfte im Land um sich zu scharen, wie das einst Romano Prodi mit dem Bündnis "L'Ulivo" gelungen war. Auch zu den Gewerkschaften hat Zingaretti einen guten Draht. Und wenn er einen Teil der enttäuschten Cinque Stelle zu sich ziehen kann, dann wüchse er bereits in eine Hauptrolle. Seine Rede kreiste hauptsächlich um den wirtschaftlichen Misserfolg der populistischen Regierung, um Arbeitslosigkeit und soziale Misere in den Peripherien, um die Letzten der Gesellschaft, die man als linke Partei endlich wieder spüren und hören müsse.

Viel Charisma hat er nicht, doch das hatte Prodi auch nicht. Die Frage ist nur, ob der leise Zingaretti den populären und massiv präsenten Salvini ab und zu übertönen wird. Da kann ihm vielleicht der Bruder ein bisschen helfen. Als Luca erfuhr, dass Nicola sich für das Amt des Parteichefs bewarb, schickte er ihn zu einem Sprechcoach, der sonst Schauspielern das Lampenfieber nimmt. Soll gewirkt haben. Der kleine, schüchterne Bruder, der das "s" lispelt, ist jetzt der Wortführer des "anderen Italiens".

© SZ vom 05.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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