Als Beginn einer segensreichen Ehe preist der stürmische Fiat-Chef Sergio Marchionne die geplante Vereinigung mit der alten Dame Opel. Die Umworbene, aber auch viele Politiker, Gewerkschafter und Bürger in Deutschland befürchten dagegen eine teuflische Affäre. Fiat schafft das nie - so lautet der Verdacht.
Begründet wird er mit Zweifeln an der Finanzkraft und den Management-Kapazitäten der Turiner sowie mit der Sorge um Standorte und Arbeitsplätze. Doch die vehemente Ablehnung von Marchionnes Antrag hat noch andere Gründe. Sie sind in den Untiefen der Völkerpsychologie zu suchen.
Fiat steht in diesem Sinne für ganz Italien, und das Vorurteil lautet: Die Italiener sind unzuverlässig, unfähig zu großen Projekten und ungeeignet, einen Teil der stolzen deutschen Autoindustrie zu übernehmen.
Schon Goethe lästerte über Italien: "Deutsche Redlichkeit suchst Du in allen Winkeln vergebens." Schopenhauer wird der Satz zugeschrieben: "Der Hauptzug im Nationalcharakter der Italiener ist vollkommene Unverschämtheit." Später kamen deutsche Erinnerungen an einen angeblichen italienischen Verrat im Zweiten Weltkrieg hinzu.
Auch die chronisch hohe Staatsverschuldung, die operettenhafte Politik in Rom, die Müllberge in Neapel sowie das Mafia-Problem befördern das Image, Italien sei ein unseriöses Land. Ein böser deutscher Scherz lautet, Fiat sei die Abkürzung für "Fehlerhaft in allen Teilen".
In seltsamem Kontrast zu diesen Negativ-Klischees steht die deutsche Italien-Schwärmerei. Zumindest für den Urlaub ist die stiefelförmige Halbinsel bis heute das Land, wo die Zitronen blühen, hervorragend gekocht wird, schicke Möbel, Schuhe und Kleider zu erwerben sind und der Alltag leichter und heiterer gelebt wird als im nordischen Deutschland. Im Fiat 500 über die Hügel der Toskana fahren? Aber gerne! Fiat am Steuer von Opel? Finger weg. So lässt sich die deutsche Haltung gegenüber Italien zugespitzt umschreiben. Anbetung hier, Ablehnung da, Sehnsuchtsort und Chaosland - zwischen diesen Extremen schwankt das Italienbild.
Eine Reizfigur bewirkt seit Jahren, dass die düstere Seite Italiens verstärkt wahrgenommen wird: Silvio Berlusconi. Der Premierminister könnte sich mit seinen Eskapaden, seinem patriarchalischen Machtanspruch, der Vermischung von Privatleben und öffentlicher Rolle sowie seinen maßlosen Angriffen auf die Justiz keine Woche als Politiker in der Bundesrepublik halten. Berlusconis schillernder Stil und seine Selbstbeweihräucherung wirken auf viele Deutsche lächerlich und gefährlich zugleich. Auch deswegen schwingt nun in der Fiat-Opel-Debatte das Gefühl mit, Italien sei nicht recht zu trauen.
Italien:Madonna mia - Berlusconi und die Frauen
Silvio Berlusconi ist erneut in Bedrängnis: Diesmal geht es um eine Prostituierte und eine junge Bauchtänzerin. Seine angeblichen Affären sind in Italien fast schon Dauerthema.
Nur: So einfach darf sich Deutschland das Urteil über den engen Freund und Verbündeten nicht machen. Das beginnt schon bei Berlusconi. Der starke Mann ist als demokratischer Regierungschef eines der wichtigsten EU-Staaten schwer erträglich, und die Italiener täten gut daran, ihn kritischer zu betrachten. Dennoch sollte auch Berlusconi nicht schwarz-weiß gezeichnet werden.
Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi:Ein Mann, viele Fettnäpfchen
Silvio Berlusconi bezeichnete seine Heimat einst als "Scheißland" und sorgte zuletzt mit einem peinlichen Holocaust-Vergleich für Empörung. Es war nicht das erste Mal, dass der Cavaliere mit peinlichen Sprüchen, seltsamen Ideen oder diplomatischen Patzern Schlagzeilen macht.
Italien ist nicht nur Berlusconi
Die Müllkrise in Neapel hat er in kurzer Zeit entschärft. Die Erdbeben-Katastrophe in den Abruzzen bewältigt er bislang mit eindrucksvollem Einsatz. Und seine Entscheidung, den G-8-Gipfel im Juli von der luxuriösen Küste Sardiniens weg ins zerstörte L'Aquila zu verlegen, ist in Zeiten einer Weltwirtschaftskrise zumindest geschickt.
Außerdem: Italien ist nicht nur Berlusconi. Das Land hat immer wieder gezeigt, dass es entgegen der Erwartungen des Auslandes aus dem Stand zu großen Leistungen fähig ist. Kaum jemand hätte einst gedacht, dass die überschuldete Nation mit ihrer butterweichen Lira in der ersten Gruppe der Euro-Staaten zu finden sein würde. Italien aber schaffte das, auch weil seine Bürger ohne viel Murren dafür Sondersteuern bezahlten.
Ein anderes Beispiel: Vor der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland spielte Italien im Abseits. Alle Welt spottete über seine von Skandalen zerrüttete Liga. Italien wurde Weltmeister. Und Fiat? Der Konzern stand vor wenigen Jahren vor dem Bankrott. Heute schickt er sich an, das zweitgrößte Autoimperium der Welt zu errichten.
Tiefen und Höhen folgen in Italien schneller aufeinander als in anderen Nationen. Träfen alle negativen Klischees über das Land zu, müsste es längst am Boden liegen. Doch wer heute durch Venetien fährt, durch Rom läuft oder durch Apulien reist, der wird feststellen: Dem ist beileibe nicht so. Als magische Realisten, die phantastisch erscheinende Ziele mit Beharrlichkeit verwirklichen, schaffen es viele Italiener, die Schwächen ihres Staates und ihrer Gesellschaft auszugleichen. Wer rasch urteilt - die packen das nicht - der könnte sich mithin gewaltig täuschen.
Für die Fiat-Offerte an Opel bedeutet das: Es wäre klug, ihren Wert zu prüfen, ohne sich dabei von nationalen Vorurteilen und gekränktem deutschen Autobauer-Stolz beeinflussen zu lassen. Dabei dürfte sich erweisen, dass eine Vermählung der beiden Autohersteller sicher keine himmlische Hochzeit wäre - aber auch keine teuflische Affäre.