Israel:Vertrag mit Bibi

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Ein Porträt von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu liegt nach der Wahl vom April auf dem Boden der Parteizentrale von Likud in Tel Aviv, darum herum innerparteiliche Wahlzettel. (Foto: Amir Cohen/Reuters)

Israels Premier Benjamin Netanjahu bangt um seine Wiederwahl im September. Nun mussten die Kandidaten seines Likud ihm ihre Stimme versprechen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Auf dem Rothschild-Boulevard, Tel Avivs Spaziermeile im Herzen der Stadt, steht seit Montagmorgen ein riesiges Schild mit der Aufschrift: "Die Likud-Partei verpflichtet sich auf Bibi, wir gehen Verpflichtungen gegenüber den Menschen ein." Es folgen Dutzende Unterschriften, darunter jene von Amir Peretz, dem Vorsitzenden der Arbeitspartei.

Mit dieser Aktion macht sich die Arbeitspartei lustig über Benjamin Netanjahu, genannt Bibi. Am Sonntag hatte der Chef des rechtsnationalen Likud alle Parteimitglieder, die auf den ersten 40 Listenplätzen für die Parlamentswahl am 17. September kandidieren, eine Verpflichtungserklärung unterschreiben lassen. "Unabhängig vom Wahlergebnis ist Benjamin Netanjahu der einzige Kandidat für den Premierminister - es gibt keinen anderen Kandidaten", heißt es in dem Dokument. Nach Eintreffen aller Loyalitätsbekundungen twitterte Netanjahu: "Danke an die Likud-Mitglieder für ihre eindeutige Unterstützung für mich. Der Likud ist mehr denn je geeint."

Für die Opposition zeigt dieser erzwungene Schwur, dass Netanjahu nicht einmal den eigenen Parteimitgliedern traut. Als "paranoid" bezeichnete Arbeitsparteichef Peretz diesen Eid auf Bibi, und Jair Lapid vom Bündnis Blau-Weiß ortet "totale Panik". Avigdor Lieberman fühlt sich an Nordkorea erinnert, es zeige Netanjahus mangelndes Vertrauten in seine Mitstreiter.

Es gibt Überlegungen für künftige Koalitionen. Aber nur ohne den bisherigen Regierungschef

Dabei war es Lieberman, der mit seinen Äußerungen Netanjahus Aktion ausgelöst hatte. Lieberman forderte am Wochenende eine Regierung der nationalen Einheit - ohne Netanjahu. Der ehemalige Verteidigungsminister nannte auch gleich einen Ersatz: den Sprecher der Knesset, Juli Edelstein, der auf Listenplatz zwei des Likud hinter Netanjahu kandidiert. Auch Lapid vom größten Oppositionsbündnis Blau-Weiß bestätigte Gespräche mit Likud-Mitgliedern über eine Ablöse Netanjahus nach der Wahl. Benny Gantz, der das blau-weiße Bündnis anführt, zeigt sich offen für eine Koalition mit dem Likud - aber nur, wenn Netanjahu nicht dabei wäre.

Der Premierminister sprach auf einer Wahlkampfkundgebung in Eilat von einer "dunklen Verschwörung" gegen ihn und versprach zu kämpfen. Aber die Ausgangslage hat sich für Netanjahu vor dem zweiten Urnengang binnen fünf Monaten verschlechtert. Im April war er mit seiner Regierungsbildung an Avigdor Lieberman gescheitert. Ohne die fünf Sitze von Liebermans Partei Unser Haus Israel kam Netanjahu nicht auf die nötige Mehrheit von 61 der 120 Sitze in der Knesset.

Um zu verhindern, dass Gantz vom blau-weißen Bündnis den Regierungsbildungsauftrag bekam, setzte Netanjahu erneute Wahlen am 17. September durch. Seine Hoffnung, dass Lieberman für seine Verweigerung abgestraft wird, hat sich in Umfragen bisher nicht bestätigt - im Gegenteil. Liebermans Partei dürfte derzeit mit einer Verdoppelung der Sitze auf zehn rechnen. Er spricht nicht nur seine traditionelle Klientel an, die russischen Einwanderer. Sein Eintreten gegen den immer stärkeren Einfluss der Ultraorthodoxen auf die Politik, mit dem er auch die Verweigerung zum Regierungseintritt begründet hat, zieht Wähler an. Damit würde Lieberman erst recht nach der Wahl im September die Position des Königsmachers zukommen.

Zusätzlich ist Netanjahu mit Ajelet Schaked, die seit vergangener Woche das neue Parteienbündnis Vereinigte Rechte anführt, Konkurrenz im rechten Lager erwachsen. Sie nahm sich seine Aktion zum Vorbild und kündigte an, die Mitglieder der Vereinigten Rechten ein Zehn-Punkte-Papier unterschreiben zu lassen. Eine der Forderungen, dass sie sich verpflichten, gegen einen Palästinenserstaat einzutreten. Schaked widersetzte sich jedoch Netanjahus Forderung, auch die extremistische Partei Jüdische Kraft und die libertäre Zehut-Partei in die Vereinigte Rechte zu integrieren. Laut Likud-Berechnungen hätten die beiden Parteien zwei bis drei Sitze mehr bringen können. Scheitern beide Parteien wie prognostiziert an der 3,25-Prozent-Hürde am Einzug in die Knesset, fehlen dem rechten Block Stimmen.

Laut Umfragen, die nach der Nominierung aller Parteien am Donnerstagabend erstellt wurden, kann Netanjahu ohne Lieberman derzeit keine Regierung bilden. Der Likud käme mit den ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum sowie den Vereinigten Rechten auf 57 der 120 Sitze in der Knesset.

Das blau-weiße Bündnis mit Spitzenkandidat Gantz, das wie der Likud im April 35 Sitze erobert hatte, würde deutlich an Unterstützung verlieren. Blau-Weiß käme mit dem neuen Demokratischen Lager und der Arbeitspartei auf nur 42 Sitze. Auch mit Liebermans Partei würde es bei Weitem nicht reichen. Damit erscheint sechs Wochen vor dem Wahltermin eine Regierung der nationalen Einheit mit Likud und Blau-Weiß sowie kleineren Parteien als einzig mögliche Koalitionsoption.

Damit schwinden auch Netanjahus Chancen auf die Verabschiedung eines Immunitätsgesetzes, das ihm den Gang vor Gericht ersparen könnte. Er ist mit Anklagen in drei Korruptionsfällen konfrontiert. Eine Anklageerhebung könnte wenige Wochen nach der Bildung einer Regierung erfolgen.

© SZ vom 06.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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