Israel:Sirene gegen Stimme

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Bald verboten? Lautsprecher verstärken auf einem Minarett der israelischen Stadt Lod den Ruf des Muezzins. (Foto: Ariel Schalit/AP)

In Israel soll per Gesetz der Muezzin-Ruf per Lautsprecher verboten werden. Nur: Was geschieht dann mit der Sabbat-Sirene?

Von Peter Münch, Tel Aviv

Auch im jüdischen Staat ragen Minarette in den Himmel. Fünfmal am Tag ruft der Muezzin von dort aus die Gläubigen zum Gebet, und aufgerufen sind fast 20 Prozent der israelischen Bevölkerung. So groß ist die arabische Minderheit im Land, und das Gesetz garantiert ihr gleiche Bürgerrechte und die Freiheit ihrer Religionsausübung. Doch Letzteres sehen viele nun bedroht durch ein Gesetzesvorhaben, das von der rechten Regierung noch in dieser Woche zur ersten Abstimmung im Parlament vorgelegt werden könnte. Das sogenannte Muezzin-Gesetz soll jeglichen Gebetsruf über Lautsprecher verbieten.

Der Aufschrei war vorhersehbar bei einer muslimischen Minderheit von 20 Prozent

Die Aufregung darüber kennt keine Grenzen. Die Arabische Liga in Kairo spricht von einer "sehr gefährlichen Provokation", Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas warnt vor einer Katastrophe, und sein Religionsminister droht mit einem "Religionskrieg". Die Vertreter der arabischen Parteien im israelischen Parlament sehen in dem geplanten Gesetz einen gezielten Angriff der Regierung auf die arabische Bevölkerung. "Rassismus" und "Diskriminierung" verdammt Ayman Odeh, der die Vereinigte Arabische Liste in der Knesset anführt. Und längst ist der Protest auch auf die Straße geschwappt. Nach dem letzten Freitagsgebet kam es in Nazareth und anderen arabischen Gemeinden in Israel zu Demonstrationen. Der Bürgermeister der Beduinenstadt Rahat im Negev kündigte an, er werden einen Lautsprecher auf jedem einzelnen Haus platzieren, falls das Gesetz sie auf den Minaretten verbiete.

Der Aufschrei war vorhersehbar, schließlich trifft der Gesetzentwurf einen höchst sensiblen Punkt im ohnehin stets angespannten Zusammenleben zwischen den Religionsgruppen im, nun ja, Heiligen Land. Premierminister Benjamin Netanjahu, der demonstrativ als Befürworter des Gesetzes aufgetreten ist, gibt sich dennoch arglos. Seine Regierung sei der "Freiheit aller Religionen verpflichtet", versichert er, "aber sie ist auch verantwortlich dafür, die Bürger vor Lärm zu schützen".

Überdies verweist der Premier auf vergleichbare Regelungen in europäischen Ländern. Tatsächlich gilt zum Beispiel in der Schweiz seit einem Volksentscheid 2009 ein Bauverbot für Minarette, in Irland sind Baugenehmigungen für Moscheen an die Auflage gebunden, dass es keine Muezzin-Rufe gibt. In Deutschland verzichten die allermeisten Moscheen auf einen Gebetsruf, was jedoch die AfD nicht davon abhält, dem Grundgesetz zum Trotz ein generelles Minarett- und Muezzin-Verbot zu fordern. In Europa allerdings gibt es im Unterschied zum nahöstlichen Israel keine geschlossenen arabischen Städte und Gemeinden, bei denen ein Muezzin-Verbot jahrhundertealte Traditionen brechen würde.

Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnte das Gesetz doch noch durch eine ungewöhnliche Allianz zwischen arabischen und ultra-orthodoxen Knesset-Abgeordneten gestoppt werden. Denn Gesundheitsminister Yakov Litzman von der Partei Vereinigtes Torah-Judentum entzog dem von der Regierung bereits beschlossenen Entwurf die Unterstützung, weil er befürchtete, durch ein Lautsprecherverbot werde auch die Sirene untersagt, die in manchen jüdischen Gemeinden traditionell den Sabbat ankündigt. Litzman ließ allerdings sogleich durchblicken, dass er bei einer Aussparung der Sirene sofort seinen Einspruch zurückziehe.

Genau danach sieht es nun aus. Der Kompromiss könnte nun entweder darauf hinauslaufen, dass die Sirene explizit ausgenommen wird. Dann allerdings ließe sich schlecht allein mit dem Lärmschutz argumentieren. Die arabischen Abgeordneten haben für diesen Fall bereits mit einer Klage vor dem Obersten Gericht gedroht. Die diskutierte Alternative wäre, das Lautsprecher-Verbot auf die Zeiten von 23 bis 7 Uhr und von 14 bis 16 Uhr zu beschränken. Die Sabbat-Sirene könnte dann erklingen, eingeschränkt wäre allein der Muezzin. Dazu allerdings, so argumentieren Kritiker, bräuchte man gar kein neues Gesetz, das so demonstrativ die Gräben vertieft. Ausreichend für ein solches Verbot wäre eine seit mehr als 20 Jahren bereits geltende Lärmschutz-Verordnung.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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