Israel:Schulterzucken

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Ein weiterer Minister wird angeklagt - inzwischen haben vier Kabinettsmitglieder mit der Justiz zu tun. Im Wahlkampf ist das aber kaum Thema.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Israels Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hat am Mittwoch offiziell angekündigt, dass er Anklage gegen Sozialminister Chaim Katz wegen Betrug und Untreue erhebt. Dem Politiker des rechtsnationalen Likud wird vorgeworfen, als Abgeordneter ein Gesetz vorangetrieben zu haben, von dem sein Finanzberater Motti Ban-Ari und er selbst finanziell profitiert haben sollen. Der Generalstaatsanwalt rief Katz dazu auf, von seinem Ministeramt zurückzutreten. Sein Anwalt erklärte, Katz überlege, sich auf seine Immunität als Abgeordneter zu berufen. Die Reaktion des Generalstaatsanwalts: Dann werde man die Aufhebung der Immunität beantragen.

Ein Regierungskomitee hat 2008 festgelegt, dass ein Minister im Falle einer Anklageerhebung zurücktreten muss. Zumindest am Donnerstag war Katz noch im Amt. Der selbst mit Anklagen in drei Korruptionsfällen konfrontierte Premierminister Benjamin Netanjahu äußerte sich nicht zu dem Fall.

Darüber, dass nun das vierte Regierungsmitglied vor einer Anklage steht, gibt es jedoch in Israel ebenso wenig eine Debatte wie über Katz' Reaktion. Dabei herrscht Wahlkampf, am 17. September wird ein neues Parlament gewählt. "Die Menschen haben sich daran gewöhnt", versucht Yuval Feldman die Reaktion seiner Landsleute zu erklären. "Die Vorwürfe gegen Katz sind seit mehr als einem Jahr bekannt." Der Professor, der an der Bar-Ilan-Universität Jura lehrt und Senior Fellow am Israel Democracy Institute ist, befasst sich damit, wie Gesetze ethische Entscheidungen beeinflussen können. In diesem Fall sieht er "einen Gewöhnungseffekt".

Im April noch waren die Vorwürfe gegen Netanjahu großes Thema. Jetzt ist die Sicherheit wichtiger

Dazu trägt bei, dass Katz der nunmehr Vierte im Kabinett ist, der Probleme mit der Justiz hat. Außer Netanjahu, der im Oktober noch eine Befragung vor der endgültigen Entscheidung über die Anklageerhebung vor sich hat, drohen auch Innenminister Ayre Deri und Vize-Gesundheitsminister Jakov Litzman Anklagen. Die Polizei empfiehlt, den Innenminister von der ultraorthodoxen Schas-Partei wegen Geldwäsche anzuklagen, Litzman von der Partei Vereinigtes Thora-Judentum wird vorgeworfen, eine mutmaßliche Kinderschänderin geschützt zu haben.

Auch der Jurist Feldman teilt den Eindruck, dass in diesem Wahlkampf die Korruptionsvorwürfe gegen den Premier keine Rolle mehr spielen. Vor der Wahl im April, nach der es Netanjahu nicht gelungen war, eine Mehrheit zu bilden, waren die Vorwürfe noch großes Thema. "Es gibt nichts Neues in der Sache. Es herrscht der Eindruck vor, alles ist schon bekannt und gesagt." Wegen dieses Überdrusses würde auch die Opposition das Thema kaum ansprechen. "Die meisten haben sich ohnehin schon eine Meinung dazu gebildet."

Die Vorwürfe gegen Netanjahu betreffen in zwei Fällen Geschenkannahmen im Gegenzug für positive Berichterstattung: "Die öffentliche Wahrnehmung ist: Das mag illegal sein, aber er macht sich eben ein schönes Leben mit Zigarren und Champagner und mag positive Medienberichte. Das wird als relativ harmlos angesehen." Im Korruptionsfall, bei dem es um die Lieferung deutscher U-Boote geht, ist Netanjahu nur Zeuge. Wenn er im Verdacht stünde, Bestechungsgelder angenommen zu haben, wäre dies etwas anders, mutmaßt Feldman: "Dann wären Sicherheitsfragen betroffen, und das ist es, was die Menschen am meisten interessiert. Wenn die Menschen Angst haben, dann kümmern sie sich vor allem um Themen, die kritisch für das Überleben sind."

Außerdem seien in den vergangenen Jahren Institutionen wie Polizei und Justiz systematisch von Politikern diskreditiert worden. "Viele haben das Gefühl, die Institutionen würden politisch motivierte Entscheidungen treffen", erklärt Feldman. Viele Israelis sind ohnehin der Ansicht, dass ihre Politiker korrupt seien. In einer Umfrage des Israel Democracy Institutes geben 47 Prozent an, ihre politische Führung sei ziemlich oder sogar sehr korrupt.

Das mag auch daran liegen, dass mit Ehud Olmert zum ersten Mal ein Premier wegen Korruption verurteilt wurde. Seine 27 Monate Haft wurden auf 16 reduziert. Er war bereits bei Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihn zurückgetreten - aufgefordert vom damaligen Oppositionspolitiker Netanjahu. Der will jedoch erst im Falle einer Verurteilung zurücktreten. Aber in Israel muss das nicht das Ende einer politischen Karriere sein, wie der Fall des Innenministers zeigt, der nicht zum ersten Mal mit der Justiz zu tun hat: Deri war wegen Korruption zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nach der vorgeschriebenen Sperrfrist von sieben Jahren kehrte er in die Politik und in die Regierung zurück.

© SZ vom 16.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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