Israel:Pathos nach 10 956 Tagen

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Premier Netanjahu ist erfreut über die Entlassung des Spions Jonathan Pollard in den USA. Jetzt will er ihn nach Israel holen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Keine Fanfaren, kein großer Bahnhof, nur Dunkelheit empfing Jonathan Pollard, als er am Freitag mitten in der Nacht vor die Tore des Gefängnisses von Butner, North Carolina, trat. 30 Jahre, exakt 10 956 Tage, hat er abgesessen wegen Spionage. Besonders schwer wog dieser Fall, weil er nicht für den Feind spionierte, sondern für einen der engsten Verbündeten der USA: für Israel. Als Nachrichtenoffizier der US-Marine lieferte er dem Mossad die Geheimpapiere gleich kofferweise. In den USA gilt er deshalb als Verräter. In Jerusalem aber versetzte die nächtliche Nachricht Premier Benjamin Netanjahu in pathetische Hochstimmung: "Das israelische Volk begrüßt die Freilassung von Jonathan Pollard", erklärte er. "Von diesem Tag habe ich lange geträumt."

Netanjahu befeuert damit den Heldenmythos, der sich um den heute 61-jährigen Pollard rankt. Dabei hatte sich Israel anfangs alles andere als dankbar gezeigt für die Dienste dieses jüdischen Texaners, der es als seine "moralische Pflicht" bezeichnete, den jüdischen Staat vor Bedrohungen aus der arabischen Welt zu warnen. Gewiss, er hatte Geld und Schmuck erhalten für seine Informationen. Doch als er am 21. November 1985 in die Washingtoner Botschaft Israels flüchten wollte, weil ihm die Ermittler auf den Fersen waren, blieb die Pforte fest verriegelt. Er wurde festgenommen und zwei Jahre später zu lebenslanger Haft verurteilt.

Netanjahu will den Agenten unbedingt ins Gelobte Land holen

Drei Jahrzehnte lang hat dieser Fall das amerikanisch-israelische Verhältnis belastet - erst wegen des Verrats, dann wegen Israels beharrlicher Forderung, den Verräter frei zu lassen. Noch als Oppositionschef wirkte Netanjahu darauf hin, ihm 1995 die israelische Staatsbürgerschaft zu verleihen, 2002 besuchte er ihn im Gefängnis. Der Mann mit dem Zottelbart wurde zur Ikone der Rechten aufgebaut, Siedlungen ernannten ihn zum Ehrenbürger, Unterstützerkomitees trommelten für seine Entlassung. Vor anderthalb Jahren wurde Pollard sogar zum Joker im Friedensprozess, als die USA erfolglos seine Freilassung im Gegenzug für israelische Zugeständnisse anboten. Dass er nun entlassen wird, werten manche als Trost für Israel nach dem Atomabkommen mit Iran. Offiziell wird das natürlich dementiert.

Die Entlassung ist allerdings an strenge Bewährungsauflagen geknüpft. Pollard darf mindestens fünf Jahre die USA nicht verlassen. In New York wurde für ihn eine Wohnung angemietet, ein erstes Foto aus dem neuen Heim fand am Freitag gleich Verbreitung. Auch einen Job soll er bereits in Aussicht haben als Analyst bei einer Finanzfirma. Doch in Israel werden schon alle Hebel in Bewegung gesetzt, ihn ins Gelobte Land zu holen. Netanjahu soll bereits bei US-Präsident Barack Obama angefragt haben. Die Hoffnung ist groß, dass die USA sich gnädig zeigen - nach 30 langen Jahren.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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