Israel:Liberale Juden sind erbost

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Die israelische Regierung wollte Frauen und Männern gemeinsame Gebete an der Klagemauer ermöglichen. Doch jetzt zieht sie den Plan zurück.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israels rechts-religiöse Regierung hat einen heftigen Streit mit liberaleren jüdischen Gruppierungen weltweit provoziert. Grund ist die plötzliche Abkehr von einem Plan, an der Klagemauer in Jerusalem künftig auch Männer und Frauen gemeinsam beten zu lassen. Die Ultra-Orthodoxen waren dagegen Sturm gelaufen und hatten eine Rücknahme der entsprechenden Regierungsentscheidung vom Januar 2016 verlangt. Nun bekamen sie ihren Willen, weil Premierminister Benjamin Netanjahu unter dem Druck der religiösen Parteien um den Fortbestand seiner Koalition fürchten musste.

Der innerjüdische Streit um den heiligsten Ort tobt seit Jahrzehnten und verweist auf einen tiefergehenden Konflikt im Judentum, das in viele Strömungen verzweigt ist. In Israel haben sich die orthodoxen Rabbiner das Monopol gesichert auf die Auslegung aller Glaubensfragen. In aller Strenge bestimmen sie die Regeln von der Hochzeit bis zur Konversion - und auch an der Klagemauer haben sie das alleinige Sagen. Deshalb müssen dort zum Beispiel Männer und Frauen durch einen blickdichten Bretterzaun getrennt beten. Frauen ist es nicht erlaubt, dort den Gebetsschal zu tragen, aus der Thora zu lesen oder laut zu singen.

Allein in den USA leben etwa genau so viele Juden wie in Israel, die wenigsten sind orthodox

Befremdlich ist das für viele nicht-orthodoxe Juden in Israel und vor allem in der Diaspora, die in ihren Synagogen gemischt-geschlechtlich beten und auch Frauen als Rabbiner zulassen. Allein in den USA leben sechs Millionen Juden, also etwa genau so viele wie in Israel. Nur zehn bis 15 Prozent der amerikanischen Juden zählen zu den Orthodoxen, die Mehrzahl gehört zu liberaleren Strömungen wie dem sogenannten Konservativen- oder Reformjudentum.

An der Spitze im Kampf um die Liberalisierung der Regeln an der Klagemauer steht in Israel seit 1988 eine Frauengruppe namens "Women of the Wall", die große Unterstützung in den USA genießt. Sie feierte einen Sieg, als die Regierung Netanjahu nach langem Ringen vor anderthalb Jahren beschloss, an der Klagemauer neben der Männer- und Frauensektion einen dritten Gebetsort einzurichten für das gemeinsame Gebet. Dem Beschluss zufolge sollte diese Sektion nicht den ultra-orthodoxen Rabbinern unterstehen. Anat Hoffman, die Gründerin der Frauengruppe, sprach damals von einer "feministisch-jüdischen Revolution". Nun wirft sie der Regierung "Feigheit" vor, weil sie dem Druck der Frommen nachgegeben habe.

Ähnlich argumentieren auch andere Kritiker. In den USA warnte der Rabbiner Rick Jacobs, Präsident der Union für das Reformjudentum, dass die Rücknahme der ursprünglichen Pläne dazu führen könne, dass viele amerikanische Juden ihre Unterstützung für Israel überdächten. Die in Jerusalem ansässige Jewish Agency, die heute als offizielle Einwanderungsorganisation des Staates Israel fungiert, sah sich zur Erklärung genötigt, dass sie "das jüdische Volk und nicht die Regierung von Israel" repräsentiere. Die jetzige Regierungsentscheidung, so wird gewarnt, habe "das große Potenzial, das jüdische Volk zu spalten und die zionistische Vision zu untergraben". Als erstes Zeichen des Protests wurde ein länger geplantes Abendessen mit Netanjahu abgesagt.

Netanjahu, der sich sonst so gern seiner guten Verbindungen zu den amerikanischen Juden rühmt, ist nun durch sein Einknicken in die Defensive geraten. Um die Wogen zu glätten, gab er zwei Regierungsmitgliedern den Auftrag, noch einmal einen neuen Plan für die künftige Gebetsregelung an der Klagemauer auszuarbeiten. Etwas wirklich Neues aber wird nach dem Zickzackkurz der vergangenen Jahre schwer zu finden sein.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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