Israel:Ein Aufsteiger zieht die Notbremse

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Silwan Schalom (vorne rechts) im September in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. (Foto: Jim Hollander/dpa)

Mehrere Frauen werfen Israels Vize-Premier und Innenminister Silwan Schalom sexuelle Belästigung vor. Der Likud-Politiker räumt keine Schuld ein, gibt nun aber seine Ämter auf.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Liste der Schande wurde immer länger, am Ende blieb Silwan Schalom nichts als der Rückzug: Wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung, der mittlerweile von elf Frauen erhoben wird, hat Israels Vize-Premier und Innenminister alle seine politischen Ämter aufgegeben. "23 Jahre lang habe ich der Öffentlichkeit in Treue und Hingabe gedient", sagte er. "Nun habe ich genug von diesem Leidensweg und muss meine Kinder, meine Frau und meine alte Mutter schützen." Kein Wort des Bedauerns also, schon gar kein Eingeständnis einer Schuld. Der 57-Jährige inszeniert sich als Opfer. Die Affäre beendet jäh die Karriere eines Aufsteigers, der stets noch höhere Ziele hatte. Und die Anschuldigungen dürften ihn auch nach dem Rücktritt weiter verfolgen.

Sex-Skandale sind nichts Neues für Israels Öffentlichkeit. Männer mit Macht sind immer wieder durch Übergriffe auf Frauen in ihrer Umgebung aufgefallen - in der Armee, bei der Polizei, in der Politik. Prominentester Protagonist ist der frühere Präsident Mosche Katzav, der wegen Vergewaltigung seit 2011 eine siebenjährige Haftstrafe absitzt. Doch eine abschreckende Wirkung hat offenbar selbst dieser dramatische Absturz vom Staatschef zum Sträfling nicht gehabt. Auf den tiefen Fall Katzavs folgt nun der Fall Schalom.

Bis in die allerhöchsten Ränge hatte der es zwar noch nicht geschafft, aber zumindest für ihn selbst war das eigentlich immer nur eine Frage der Zeit gewesen. An Ehrgeiz und Energie jedenfalls hat es dem Likud-Politiker nie gefehlt, um von ziemlich weit unten ganz nach oben zu kommen. Geboren wurde Silwan Schalom in Tunesien, als einjähriges Kind kam er nach Israel und wuchs in der Wüstenstadt Beerschewa auf. Den Vater, der bei einer Bank arbeitete, verlor er mit sechs Jahren - er wurde bei einem Überfall getötet. Die schwere Jugend ließ seine Karriere stets umso heller leuchten, und eine Heirat öffnete ihm schließlich die Türen zu den besseren Kreisen.

1993, da war er gerade zum ersten Mal in die Knesset eingezogen, vermählt er sich mit Judy Nir-Moses, die aus einer der einflussreichsten Familien Israels stammt. Sie gehört zu den Erben eines der größten Medienkonzerne des Landes, zu dem auch die Tageszeitung Jedioth Achronoth zählt. Die beiden machten Karriere als Power-Paar. Er reüssierte in zahlreichen Regierungsämtern, war Außen- und auch Finanzminister. Sie wurde als Talkshow-Gastgeberin bekannt in Funk und Fernsehen. Auf Partys verbreiteten sie gern ein wenig Clinton-Glamour, und das einzige, was ihnen im Weg stand, war ein anderes politisches Pärchen: Benjamin und Sara Netanjahu. Als Konsequenz daraus änderte Silwan Schalom im vorigen Jahr die Zielkoordinaten und bewarb sich ums Präsidentenamt. Doch das war dann schon der Anfang vom Ende.

Die Männer im Parlament schalteten auf Normalbetrieb um - auf Gerangel um die Nachfolge

Denn mitten im Rennen, das so aussichtsreich begonnen hatte, tauchten die ersten Vorwürfe der sexuellen Belästigung auf. Juristisch verfolgt wurden beide Fälle nicht, weil eine der Frauen nicht aussagen wollte und der andere Vorfall jenseits der Verjährungsfrist von zehn Jahren lag. Doch Schalom musste seine Kandidatur zurückziehen - und machte unbeeindruckt weiter. Reuven Rivlin zog ins Präsidentenamt ein, Schalom wurde nach der Parlamentswahl im März 2015 von Netanjahu zum Innenminister und Vizepremier ernannt und obendrein mit der Zuständigkeit für den Friedensprozess mit den Palästinensern betraut. Judy Schalom Nir-Moses stand derweil mindestens so fest wie weiland Hillary Clinton an der Seite ihres Mannes, doch am Ende hat auch das nichts verhindert. Vor Wochenfrist veröffentlichte die Zeitung Haaretz neue Vorwürfe, jeden Tag meldeten sich seitdem weitere Frauen, die Silwan Schalom sexuelle Übergriffe vorwarfen. Noch bevor Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein am Sonntagabend die Polizei anwies, diese Fälle zu untersuchen, zog Schalom die Notbremse und erklärte den Rücktritt.

Ein paar weibliche Abgeordnete im Parlament begrüßten diesen Schritt als überfällig, die männliche Mehrheit schaltete schnell um auf Normalbetrieb, also auf ein Gerangel um die Nachfolge. Ein Ersatz im Parlament war schnell gefunden, es rückt nun ein junger Anwalt namens Amir Ohana nach, der erste bekennende Schwule auf der Likud-Liste. Das Innenministerium übernahm bis auf Weiteres Regierungschef Netanjahu. Bald könnte er schon gar kein Kabinett mehr brauchen, denn er ist obendrein auch noch Außen-, Wirtschafts- , Regional- und Kommunikationsminister - und nun wohl auch sein eigener Vize-Premier. Als einer der Favoriten für die Nachfolge Schaloms als Minister gilt Arye Deri von der ultraorthodoxen Schas-Partei. Der hat Erfahrung auf dem Posten. Allerdings musste er nach seiner letzten Amtszeit als Innenminister wegen Korruption ins Gefängnis.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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