Israel:Das Ende von Blau-Weiß

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Oppositionsführer Benny Gantz bahnt den Weg für eine Einheitsregierung.

Von Alexandra Föderl-Schmid, München

Benny Gantz könnte bald Außenminister werden. Bislang hatte er versichert, er wolle nicht mit Netanjahu in einer Regierung sitzen. (Foto: Ahmad Gharabli/AFP)

Es war ein Überraschungscoup, der den Weg zu einer großen Koalition in Israel ebnen könnte: Oppositionsführer Benny Gantz stellte sich am Donnerstag als Kandidat für die Position des Parlamentspräsidenten zur Wahl. Damit setzte er sein bisheriges Parteienbündnis Blau-Weiß auf Spiel. Zwei Parteien - die von Jair Lapid geführte Zukunftspartei und die Telem-Fraktion des ehemaligen Verteidigungsministers Mosche Jaalon - verließen daraufhin die Allianz. Mit diesem Manöver versuchte Gantz, die Chancen zur Bildung einer Einheitsregierung mit dem rechtsnationalen Likud von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu wahren. Laut Medienberichten will Gantz auf den Vorschlag von Netanjahu eingehen, angesichts der Corona-Krise eine Notstandsregierung zu bilden - und zwar gleich für drei Jahre. Gantz begründete sein Vorgehen damit, dass Israel seit mehr als einem Jahr nach drei Wahlen keine stabile Regierung habe. Für ihn stehe "Israel über allem". Die Abgeordneten von Netanjahus Koalition aus rechten und religiösen Parteien stimmten geschlossen für Gantz, der 74 der 120 Stimmen in der Knesset erhielt. 18 Abgeordnete votierten gegen ihn, ein Teil enthielt sich - darunter Gantz' bisheriger Partner von der Zukunftspartei.

Demnach könnte Netanjahu weitere 18 Monate Regierungschef bleiben, Gantz würde in dieser Zeit als Außenminister amtieren und dann im September 2021 Ministerpräsident werden. Gantz hatte bisher versichert, er wolle wegen der Anklagen gegen Netanjahu nicht mit diesem in einer Regierung sitzen. Seine bisherigen Partner im blau-weißen Bündnis, Lapid und Jaalon, hatten Gantz wegen ihrer schlechten Erfahrung als Minister vor einer Koalition mit Netanjahu gewarnt. Als Verteidigungsminister in einer Notstandsregierung wurde Gabi Aschkenasi gehandelt, der wie Gantz ehemaliger Generalstabschef der Armee ist. Gantz' Partei soll auch die Minister für Justiz und Wirtschaft stellen.

Gantz' Partei soll auch die Minister für Justiz und Wirtschaft stellen

Es wird vermutet, dass Netanjahu Mitte nächsten Jahres als Nachfolger von Präsident Reuven Rivlin kandidiert - was dem wegen Korruptionsdelikten Angeklagten Immunität verschaffen würde. Trotz der Anklagen kann Netanjahu als Premier im Amt bleiben, als Minister müsste er zurücktreten. Der Prozessauftakt gegen Netanjahu, der wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue angeklagt ist, wurde wegen der Coronakrise auf Mitte Mai verschoben.

Bei der dritten Parlamentswahl binnen eines Jahres am 2. März hatte weder Netanjahus rechter Block noch das von Gantz geführte Lager eine Mehrheit errungen. Netanjahu regiert seit Dezember 2018 mit einer Übergangsregierung und dürfte eigentlich keine weitreichenden Entscheidungen treffen, was er aber angesichts der rigorosen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise getan hat.

Bis zu Gantz' überraschender Bewerbung galt die Nominierung von Meir Cohen als blau-weißem Kandidaten für den Knesset-Sprecher als sicher. Netanjahus Likud-Partei hatte im Falle einer Wahl dieses Kandidaten Gantz mit dem Ende von Koalitionsverhandlungen gedroht. Cohen kommt von Lapids Zukunftspartei. Seiner Fraktion sagte Lapid, Gantz habe sich entschieden, "Blau-Weiß zu sprengen und in Bibis Regierung zu kriechen" - Bibi ist Netanjahus Spitzname. Lapid warf Gantz vor, mehr als eine Million Wählerstimmen gestohlen und Netanjahu als Geschenk überreicht zu haben. Lapid und Jaalon wollen weiter als Bündnis agieren und beanspruchen den Namen Blau-Weiß.

Laut Medienberichten soll Gantz die Funktion des Parlamentspräsidenten nur bis zur Bildung einer Einheitsregierung ausüben. Danach soll wieder der Likud die Position besetzen können. Die Neuwahl eines Sprechers der Knesset, wie in Israel die Funktion des Parlamentspräsidenten bezeichnet wird, war kurz nach Mitternacht am Donnerstag vom Obersten Gericht angeordnet worden.

Der bisherige Parlamentspräsident Juli Edelstein vom Likud wurde von seinen Aufgaben entbunden. Seine Kompetenzen wurden vorübergehend an den am längsten dienenden Abgeordneten, Arbeitsparteichef Amir Peretz, übertragen. So versuchte das Oberste Gericht, die Verfassungskrise zu lösen.

Edelstein hatte sich zuvor geweigert, das Parlament und Ausschüsse zur Kontrolle der Regierungsarbeit einzuberufen. Er wollte auch verhindern, dass die Opposition ihn als Knesset-Sprecher abwählen kann. Edelstein verweigerte auch die Abstimmung über einen Gesetzesantrag der Oppositionsparteien, der gegen Netanjahu gerichtet war. Demnach sollte per Gesetz untersagt werden, dass ein Angeklagter eine Regierung bilden darf. Tamar Zandberg von der Meretz-Partei griff Gantz scharf an: "Wir stehen alle unter Schock. Was hast Du gemacht, Benny Gantz?"

© SZ vom 27.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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