Seit George W. Bush 2006 islamistische Terroristen zur Speerspitze eines "Islamofaschismus" erklärte, hat dieser Begriff eine steile Karriere erlebt. So ist er hierzulande bei Rechts- wie bei Linkspopulisten, die mit diesem Etikett auch die islamische Religion per se zu diffamieren suchen, ebenso beliebt wie bei militanten Gegnern des politischen Islams in den muslimischen Ländern. Diesen Kreisen kommt das Pamphlet "Der islamische Faschismus. Eine Analyse" des deutsch-ägyptischen Publizisten Hamed Abdel-Samad mehr als gelegen.
Samads Ausgangspunkt ist die Gleichsetzung der ägyptischen Muslimbruderschaft mit den kurz vor ihr im Zwischenkriegseuropa entstandenen faschistischen Bewegungen. Die Abstempelung als Faschisten soll die Muslimbrüder, zu deren Anhängern Abdel-Samad in seiner Kairoer Studienzeit selbst gehörte, moralisch und politisch noch zusätzlich diskreditieren - also über den Terrorismus-Vorwurf hinaus, mit dem man neuerdings in Ägypten auch Todesurteile gegen Hunderte ihrer Mitglieder begründet.
Muslimbrüder-Gründer zu Hitler-Bewunderer stilisiert
Die Faschismus-Analogie hatte Abdel-Samad schon kurz vor dem Militärputsch vom Juli 2013 in einem Vortrag in Kairo gezogen. Und - hierzulande unbekannt - wenig später auch in einem Beitrag in der regimenahen Kulturzeitschrift Akhbar al-Adab, womit er sich der von Ägyptens Militärregime gegen die Muslimbrüder betriebenen Propagandakampagne angeschlossen hat.
Nun stilisiert er in gleicher Manier den Gründer der Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna, zu einem glühenden Bewunderer Hitlers und Mussolinis. In der Tat hatten die beiden al-Banna Anfang der Dreißigerjahre fasziniert - allerdings war das von Beginn an mit deutlicher Skepsis verbunden, was der Autor ausblendet.
Dem Leser vorenthalten bleibt auch, dass al-Banna und seine Anhänger schon wenige Jahre später zu den schärfsten ägyptischen Kritikern des Faschismus und Nationalsozialismus wurden. Sie lehnten den Rassismus dieser Bewegungen kategorisch ab und verurteilten sie als imperialistisch und diktatorisch. Mehrfach nachgewiesen hat dies der Tel Aviver Orientalist Israel Gershoni, auf Deutsch zuletzt in der gemeinsam mit Götz Nordbruch 2011 vorgelegten Studie "Sympathie und Schrecken. Begegnungen mit Faschismus und Nationalsozialismus in Ägypten 1922-1937".
Entweder kennt Abdel-Samad diese Fakten nicht oder er unterschlägt sie. Obendrein betreibt er Geschichtsklitterung, indem er al-Banna mit einer Aussage unvollständig zitiert: Dieser listet die anfänglichen innen- wie außenpolitischen Erfolge Hitlers und Mussolinis auf. Doch nur, um in der Rückschau - der Text stammt von 1948 - noch einmal mahnend daran zu erinnern, dass der europäische Faschismus in die Katastrophe geführt und Millionen Menschenleben gekostet habe: Diesen unmittelbar anschließenden Kommentar sucht man bei Abdel-Samad vergebens.
Auch dient ihm die Kollaboration des palästinensischen Mufti Amin al-Husseini mit dem NS-Regime trotz ihres Ausnahmecharakters nicht nur als Beleg für die angebliche Kompatibilität von Islam und Nationalsozialismus. Die antisemitische Hetze des Großmufti, so wird suggeriert, soll derart nachhaltig gewirkt haben, dass nach 1948 "vor allem" für die palästinensischen Flüchtlinge in der arabischen Diaspora der "Antisemitismus zum Identitätsstifter" geworden sei - eine durch nichts belegte Unterstellung, die allein schon durch die Tatsache widerlegt wird, dass sich die 1964 ebenfalls im Exil gegründete palästinensische Befreiungsbewegung vom europäisch inspirierten Antisemitismus distanzierte und zwischen Juden und Zionisten klar unterschied.
Geschichtsverzerrend ist auch Abdel-Samads Behauptung, die Muslimbruderschaft sei die "Mutterorganisation des islamistischen Terrorismus", al-Qaida "eine ihrer Ausgeburten". Hier fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass manch militanter ägyptischer Islamist gerade in Abgrenzung zu den Muslimbrüdern und deren Gewaltverzicht den Weg des Terrors beschritt.
Aus dem Propaganda-Arsenal des Militärregimes
Übrigens hatte Abdel-Samad 2008 noch ein gänzlich anderes Bild von der ägyptischen Muslimbruderschaft gezeichnet, die er heute als antimodern, diktatorisch und gewalttätig einstuft. Ihr Diskurs, schrieb er damals rückblickend auf seine Zeit bei der Bruderschaft in einem "Identitätssuche und Radikalisierungserfahrungen" überschriebenen Aufsatz, "war für uns modern und emanzipatorisch" und sie habe "ganz auf ideologische Mobilisierung und nicht auf den unmittelbaren bewaffneten Kampf" gesetzt.
Tatsächlich ließen die Muslimbrüder - wie ihr vorläufiges Parteiprogramm von 2007 belegte - keinen Zweifel daran, dass sie sich gern als Partei an einer Demokratie beteiligen würden, wenn man sie denn ließe. Dass unter dem gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi eine - wenn auch teils problematische - demokratische Verfassung verabschiedet wurde, hält Abdel-Samad nicht für erwähnenswert. Mursis "Absetzung", schreibt er, "war kein Putsch, sondern eine Notwendigkeit. Um der Demokratie zu ihrem Recht zu verhelfen".
Nicht nur solche Parolen aus dem Propaganda-Arsenal des repressiven ägyptischen Militärregimes disqualifizieren den Autor, für den alle Islamisten, egal welcher Färbung, Faschisten sind, für die Rolle des Aufklärers. Die Grenze zur Demagogie überschreitet Abdel-Samad auch, wenn er den Propheten Muhammad als grausamen Mörder und Vergewaltiger erscheinen lässt, Abraham als Faschisten verunglimpft und behauptet, "Faschismus ist in gewisser Weise mit dem Monotheismus verwandt". Man wundert sich, dass hier dem als "Islamkritiker" derzeit allseits hofierten Publizisten nicht auch von christlicher und jüdischer Seite vehement widersprochen wird.
Joseph Croitoru, in Haifa geboren, ist Journalist und freier Historiker. Er hat Bücher über die Geschichte des Selbstmordattentats und der palästinensischen Hamas veröffentlicht.