Islamischer Staat:Kalifat in Bedrängnis

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Der IS verbucht den Doppel-Anschlag als Erfolg und droht Belgien mit weiteren "schwarzen Tagen". In Syrien und im Irak aber gerät die Miliz zunehmend unter Druck - militärisch und finanziell.

Von Tomas Avenarius, München

Schon kurz nach den Terroranschlägen meldete sich der übliche Verdächtige zu Wort. Der sogenannte Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Zweifach-Attentat mit 31 Toten und kündigte dem "Kreuzfahrerstaat Belgien" weitere "schwarze Tage" an: "Kämpfer des Islamischen Staats haben am Dienstag eine Reihe von Bombenanschlägen mit Sprengstoffgürteln und Sprengsätzen durchgeführt, die auf einen Flughafen und eine zentrale Metro-Station im Zentrum der belgischen Hauptstadt Brüssel zielten, einem Land, das sich an der internationalen Koalition gegen den Islamischen Staat beteiligt." Obwohl die Verlautbarung einer der Terrororganisation nahestehenden Pseudo-Nachrichtenagentur namens "Amaq" keine Details über die Täter enthält, gibt es kaum Zweifel an der Verantwortung der Kalifats-Führer im fernen Irak und in Syrien. Die belgischen Täter hatten Verbindungen zu dem in die Pariser November-Attentate verwickelten Salah Abdeslam. Sie schlugen kurz nach dessen Festnahme durch die belgische Polizei zu - aus Rache oder weil sie wegen seiner Vernehmung mit dem Auffliegen ihrer Zelle rechnen mussten. Sogar eine schwarze IS-Flagge fanden die Ermittler in ihrem Apartment, neben Material zum Bombenbau.

Daher ist es fast schon unwichtig, ob die mindestens drei Täter auf Anweisung des selbsternannten "Kalifen" Abu Bakr al-Bagdadi getötet haben - oder ob sie in eigener Regie getan haben, was im Kalifat eben erwartet wird von den "Löwen", wie IS-Kämpfer im Heroenjargon der Terrorgruppe heißen. Ebenso wenig entscheidend ist, ob die Anschläge in Europa den derzeitigen militärischen Niederlagen des IS im Nahen Osten geschuldet sind: Der Westen ist der Feind des Kalifats, alle Staaten der internationalen IS-Koalition sowieso. Aus der verzerrten IS-Sicht heraus ist im Prinzip jeder, der die angeblich gottgewollte Vormacht des Kalifats nicht anerkennt, todeswürdig und legitimes Terrorziel.

Einige IS-Führer sollen nach Libyen ausgereist sein, die Stadt Sirte ist eine Hochburg der Miliz

Klar ist, dass die anfängliche Siegesphase des IS derzeit vorüber ist. Die Terrorgruppe ist im Irak und in Syrien in die Enge getrieben worden durch die anhaltenden Luftangriffe der Koalition und die Bodenoffensiven kurdischer, schiitischer und sunnitischer Milizen. Die IS-Kämpfer haben im Irak mit Beji, Tikrit und Ramadi wichtige Städte verloren; sie müssen nun auch mit dem angekündigten Großangriff auf ihre Hochburg Mossul rechnen. Hinter den Linien werden ihre Gegner im Irak inzwischen von US-Elitesoldaten unterstützt, die Bundeswehr liefert den irakischen Kurden Waffen und bildet sie daran aus.

In Syrien mögen Regierungsarmee, Russen und Iraner vor allem gegen andere Assad-Gegner kämpfen, aber wenn der Krieg weitergeht, werden sie auch den IS voll ins Visier nehmen. Zudem hat der IS wichtige Führungsfiguren verloren: So soll der aus dem Kaukasus stammende Omar al-Schischani bei einem US-Bombardement getötet worden sein - der Mann mit dem Kampfnamen "der Tschetschene" galt als einer der zentralen Militärführer des Kalifen, er war für den Einsatz vor allem ausländischer Dschihadisten zuständig.

Auch das Geld wird knapp: Durch die Luftangriffe der internationalen Koalition ist der Handel mit dem in Syrien und dem Irak geplünderten Erdöl weit schwieriger geworden. Die primitiven Raffinerien sowie die Tanklaster sind leichte Ziele für die Jets. Da der IS seine Kämpfer bezahlen und sie vor allem mit Geldgeschenken oder mit Häusern, Autos und neuen Waffen belohnen muss, könnte das Versiegen der Geldströme rasch zu Nachwuchsmangel bei den Kämpfern führen.

Dass die Lage bedrohlich werden könnte für das Kalifat im Irak und in Syrien, sehen die IS-Führer selbst. Einige von ihnen sollen nach Libyen ausgereist sein, die Stadt Sirte ist inzwischen die IS-Hochburg in dem nordafrikanischen Land. Libyen ist ein fast ebenso geeigneter Standort für das Kalifat wie der Irak oder Syrien: Es herrscht Bürgerkrieg, die Regierung ist schwach bis nicht-existent, es gibt die Wüste als Rückzugsraum und riesige Waffenbestände aus den Zeiten von Diktator Muammar al-Gaddafi. Auch die Grenzen sind unkontrolliert, Kämpfer können sich problemlos in andere Staaten Nordafrikas bewegen.

© SZ vom 24.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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