Iran:Online auf Stimmenfang

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Anhängerinnen des konservativen Kandidaten Mohammed Baqer Qalibaf bei einer Wahlkampfveranstaltung in Teheran. (Foto: Atta Kenare/AFP)

Der Wahlkampf für die Präsidentenwahl in Iran findet vor allem in den sozialen Medien statt. Das eröffnet kreative Möglichkeiten, um die Zensur zu umgehen.

Von Paul-Anton Krüger, Teheran

Die Themen der Fernsehdebatte sind Kultur und Politik. Doch die Kandidaten schlagen nach einleitenden Sätzen den Bogen zu dem, was Iran vor der Präsidentenwahl nächsten Freitag wirklich bewegt: die Lage der Wirtschaft und die Frage, was das Atomabkommen mit den Amerikanern und den anderen Vetomächten gebracht hat. Mit ernster Miene verliest der Moderator Fragen von Zetteln, die er aus einem Goldfischglas angelt. Er zieht einen zweiten Zettel, welcher Kandidat antworten muss; dann haben die Konkurrenten Zeit, diesen zu kritisieren.

Sechs Männer hat der Wächterrat der Islamischen Republik zugelassen. Alle Frauen hat er aussortiert, ebenso Hunderte Bewerber, die er für ungeeignet oder ideologisch nicht zuverlässig hielt. Die Kriterien sind schwammig; Ex-Präsident Mahmud Ahmadinedschad fiel durch. Übrig blieben Amtsinhaber Hassan Rohani und dessen Vize Eshag Jahangiri, der wohl zu Gunsten seines Chefs zurückziehen wird, und zwei konservative Herausforderer: Mohammed Baqer Qalibaf, Bürgermeister von Teheran, und Ebrahim Raisi, Kleriker und Jurist, der eine äußerst einflussreiche religiöse Stiftung in Maschhad leitet. Die beiden anderen sind Zählkandidaten ohne jede Chance.

In den engen Grenzen dieser Vorauswahl hat sich in dem ohnehin polarisierten Land ein giftiger Wahlkampf entwickelt, an dem die Iraner Anteil nehmen - jene zumindest, die sich nicht frustriert abgewendet haben und gar nicht wählen wollen. Mangels Parteien und ausformulierter Programme sind die Fernsehdebatten entscheidende Momente der Kampagnen, dazu kommen 45-minütige Werbefilme, mit denen sich die Kandidaten im Staatsfernsehen präsentieren dürfen. 20 bis 30 Prozent derjenigen, die ihre Stimme abgeben wollen, seien noch unentschieden, heißt es.

Chamenei hat in entscheidenden politischen Fragen das letzte Wort, Kritik an ihm aber ist tabu

Die eigentliche Debatte entfaltet sich in den sozialen Medien - von Facebook über Twitter, offiziell blockiert, aber dank technischer Tricks von vielen Iranern genutzt, oder Kurznachrichtendiensten wie WhatsApp und Telegram, mit mehr als 30 Millionen Nutzern in Iran mit Abstand der populärste Dienst. "Zeitungen erreichen ein paar Zehntausend Leser", sagt Amir Hadi Anwari, früher Vize-Chef des größten Wirtschaftsblatts, jetzt Blogger und freier Journalist, der den Reformern nahesteht. "Ein guter Kommentar in Sozialen Medien wird eine, eineinhalb Millionen mal geteilt."

Die Kandidaten haben darauf reagiert: Raisis Film war nach der Ausstrahlung sofort online abrufbar, in vier Auflösungen, denn das Original kann bei der Geschwindigkeit des Internets in Iran nicht jeder herunterladen. Vor Raisis Wahlbüros hängen Transparente, die im Netz über ihn verbreitete "Gerüchte" widerlegen sollen - Fake News auf Iranisch. Waren die sozialen Medien eine Domäne der Liberalen, haben die Konservativen aufgeholt und eigene Kanäle im Netz aufgebaut. Einige reformistische Administratoren dagegen ließ das Regime verhaften. "Die Reformisten dürfen nicht glauben, dass sie die sozialen Medien besser beherrschen", sagt Anwari, "und sie dürfen nicht vergessen, dass es auch viele Menschen gibt, die man so nicht erreicht."

Rohani gibt sich in den Debatten für den Geschmack seiner Anhänger zu staatstragend, zu abgehoben. Qalibaf setzt auf populistische Slogans. Er verspricht, Arbeitsplätze zu schaffen und Direktzahlungen an die Armen zu erhöhen. Rohani hält er vor, nur die Interessen von vier Prozent Wohlhabender zu vertreten und die übrigen 96 Prozent zu vernachlässigen, die unter der hohen Arbeitslosigkeit leiden und darunter, dass die Lebenshaltungskosten in den Jahren vor dem Atomdeal extrem gestiegen sind.

Rohani und sein Vize Jahangiri, der für Attacke zuständig ist, entgegnen, die desaströse Politik Ahmadinedschads sei schuld an der Misere. "Wir haben das Auto wieder flottgemacht und es aus dem Tal geholt", sagt Jahangiri. "Aber es dauert noch, bis es wieder volle Fahrt aufnimmt." Er versucht den Iranern in einfachen Worten vorzuführen, vor welcher Wahl sie stehen. "Wollt ihr Beschränkung oder Freiheit? Wollt ihr Entwicklung oder Chaos?", ruft er. "Wollt ihr internationales Ansehen oder Isolation?" Im Netz wird das tausendfach verstärkt, in Karikaturen und Montagen gepackt.

Rohani, ein moderater Konservativer, der aber seit Jahrzehnten ein Spitzenfunktionär und Insider im Sicherheitsapparat des Systems ist, inszeniert sich mit Äußerungen, die an den roten Linien des Systems rühren. So wurden in sozialen Medien Szenen seines Werbevideos geleakt, die offenbar die Zensur vor der Ausstrahlung herausgeschnitten hat. In einer redet er über den Hausarrest Mir Hossein Mussawis, Idol der Reformer, der seit den Protesten 2009 gegen Ahmadinedschads Bestätigung im Amt ohne Prozess festgehalten wird. In einem anderen verweist er darauf, dass der Oberste Führer Ali Chamenei dem Atomdeal zugestimmt habe - und Kritik daran also auch ihn treffe. Chamenei hat tatsächlich in allen entscheidenden politischen Fragen das letzte Wort, Kritik an ihm aber ist tabu.

Gemeinsam ist allen Kandidaten, dass sie aufrufen, zur Wahl zu gehen. Chamenei sagte sogar, es sei nicht bedeutendend, welcher Kandidat gewinne. Für das Regime bedeutet eine hohe Beteiligung so oder so Legitimität. Auch diese Äußerung wurde sarkastisch kommentiert. Manche Reformer fassten sie so auf, dass es egal sei, wer gewählt werde - weil sich ohnehin nichts ändern werde. Gerade Rohani aber muss auf eine hohe Beteiligung hoffen. In einer Karikatur hängt ein Ruderboot schon über dem Abgrund des Wasserfalls. "Warum rudert ihr nicht?", brüllt einer. "Es ist Demokratie! Ich habe das Recht nicht zu rudern!", erwidert der andere.

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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