Iran:Das Regime inszeniert sich als Sieger

Die Islamische Republik erklärt demonstrierende Bürger zu Verschwörern, die Zahl der Opfer niedergeschlagener Proteste ist so unklar wie umstritten.

Von Paul-Anton Krüger

Iran: Mitglieder der Revolutionsgarden begleiten den Sarg eines Kollegen, der bei gewalttätigen Straßenprotesten ums Leben kam.

Mitglieder der Revolutionsgarden begleiten den Sarg eines Kollegen, der bei gewalttätigen Straßenprotesten ums Leben kam.

(Foto: Vahid Salemi/AP)

Die Botschaft kam von den Spitzen der Islamischen Republik, und sie war eindeutig: Das iranische Regime sieht sich in der Machtprobe mit den landesweit protestierenden Demonstranten als Sieger und will den Widerstand gegen die Erhöhung der Benzinpreise beendet wissen. Iran sei es in den vergangenen Tagen gelungen, "die Feinde zurückzuschlagen", sagte der Oberste Führer Ali Chamenei bei einem Treffen mit Wirtschaftsvertretern am Dienstagabend in Teheran. Die Proteste, bei denen es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Angriffen gegen Banken und staatliche Einrichtungen gekommen war, bezeichnete er als "Sicherheitsfrage", sie seien keine Bewegung aus dem Volk.

Wie Chamenei stellte auch Präsident Hassan Rohani die Proteste als Werk ausländischer Verschwörer dar. "Das iranische Volk hat erneut eine historische Probe bestanden und gezeigt, dass es nicht die Feinde von der Lage profitieren lässt, selbst wenn es Beschwerden hat über die Führung des Landes", zitierte ihn das Staatsfernsehen. Iranische Staatsmedien meldeten die Verhaftung von Doppelstaatlern, darunter aus Deutschland, die als Rädelsführer identifiziert worden seien.

Nach offizieller Darstellung mischten sich einige wenige organisierte Gewalttäter unter die Proteste und zettelten Randale an. Sie seien organisiert und bewaffnet gewesen und hätten im Auftrag der USA, Israels und der Golfstaaten gehandelt, hieß es. Der Schweizer Botschafter in Teheran wurde ins Außenministerium zitiert, um eine Protestnote gegen Äußerungen von US-Außenminister Mike Pompeo zu empfangen. Die Schweiz fungiert als diplomatische Interessensvertretung Washingtons in Iran. Pompeo hatte den Demonstranten die Unterstützung der USA versichert.

Zahlreiche Videos zeigen, wie Sicherheitskräfte gezielt auf Demonstranten schießen

Unklar ist weiter, wie viele Menschen durch die Niederschlagung der Proteste getötet oder verletzt wurden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtet von 106 dokumentierten Todesopfern in 21 Städten. Die Vereinten Nationen zeigten sich "zutiefst besorgt" vom Einsatz scharfer Munition, es gebe Berichte über "Dutzende Tote". Trotz der Internetsperre in Iran gibt es inzwischen etliche Videos, die zeigen, wie Sicherheitskräfte gezielt auf Demonstranten schießen.

In Iran und in der iranischen Exilgemeinde kursieren deutlich höhere Zahlen. Von 200 Opfern sprechen iranische Journalisten, die im Ausland leben. Die offizielle Zahl der Todesopfer liegt bei zwölf, unter ihnen Angehörige der Sicherheitskräfte. Der Sprecher der Vertretung Irans bei den UN, Alireza Miryousefi, wies die Angaben von Amnesty als "spekulativ" und "unzuverlässig" zurück. Solche Zahlen seien Teil gezielter Desinformationskampagnen.

Iran versucht seit Ausbruch der Proteste am vergangenen Freitag, die Verbreitung von Informationen aus dem Land zu verhindern. Der Zugang zum Internet war auch am Mittwoch fast vollständig gedrosselt und wird es auf unbestimmte Zeit bleiben. "Das Internet wird dann erst wieder eingeschaltet, wenn die Sicherheit im Land auch wieder voll und ganz hergestellt ist", sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats laut der Nachrichtenagentur Isna. Quellen in Iran berichten, dass die Kommunikation über internetgestützte Anwendungen weithin nicht möglich ist und auch die üblichen Umgehungsmethoden für die sonst in Iran gängige Filterung des Internets nicht funktionieren.

Auch im Land selbst herrscht daher viel Unklarheit über das Ausmaß der Proteste und die Zahl der Opfer. Viele Menschen seien verunsichert, berichten Gewährsleute der Süddeutschen Zeitung in Iran. So werde darüber gerätselt, wer hinter den Attacken auf Banken und staatliche Einrichtungen steht. Viele Iraner halten es für möglich, dass der Sicherheitsapparat selbst daran beteiligt war, um die vielerorts zunächst friedlichen Proteste zu diskreditieren und eine Rechtfertigung für ein hartes Durchgreifen zu schaffen. Andere halten dagegen die offizielle Variante für plausibel, dass ausländische Geheimdienste oder Gruppen der Exilopposition Gewaltakte angestachelt haben.

Das Regime versucht unterdessen den Eindruck zu verbreiten, die Proteste seien abgeflaut. In einigen Städten gab es Kundgebungen zur Unterstützung der Regierung, über die Staatsmedien ausführlich berichteten. Sie sind allerdings vom Regime selbst organisiert. Zudem überwies die Regierung einer großen Zahl von Familien die Direktzahlungen, die mit der Kürzung der Benzinsubventionen und der Rationierung von verbilligtem Treibstoff finanziert werden sollen. Auch dies war offenkundig ein Schritt, um den Protesten die Unterstützung zu nehmen, nachdem viele Iraner die Begründung der Regierung in Zweifel gezogen hatten. Präsident Rohani bekräftigte am Mittwoch, die Regierung halte an der Erhöhung der Benzinpreise fest. Sie sei eine richtige Entscheidung, besonders für die sozial schwachen Klassen.

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