Interview am Morgen: Çavuşoğlu in Solingen:"Wahlkampfbotschaften gehören da nicht hin"

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Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu will am 29. Mai in Solingen auftreten - wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in der Türkei. (Foto: AFP)

Kurz vor der türkischen Präsidentenwahl will Außenminister Çavuşoğlu auf einer Gedenkfeier in Solingen sprechen. Stadtsprecher Lutz Peters hofft, dass der eigentliche Sinn der Veranstaltung nicht überlagert wird.

Interview von Benedikt Peters

Am Samstag vor Pfingsten 1993 beschlossen vier Skinheads, "Türken einen Denkzettel zu verpassen", so steht es später in den Gerichtsakten. Sie zogen vor das Haus Nummer 81 in der Wernerstraße in Solingen und legten dort Feuer. Zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte des Ehepaares Durmuş und Mevlüde Genç starben in den Flammen. Die Getöteten waren zwischen 27 und vier Jahren alt. Der 25. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen wäre ohnehin ein Medienereignis geworden, nun steht das Thema aber schon Wochen vorher im Fokus. Denn Mevlüt Çavuşoğlu hat angekündigt, die Gedenkfeier zu besuchen. Wenige Wochen vor der Präsidentschafts- und der Parlamentswahl in der Türkei befürchten nun manche, dass der türkische Außenminister die Veranstaltung für einen eigentlich verbotenen Wahlkampfauftritt nutzen wird. Stadtsprecher Lutz Peters glaubt das nicht, seine Befürchtung aber ist eine andere: Dass wegen der aktuellen Debatte der eigentliche Sinn der Veranstaltung in Vergessenheit gerät.

SZ: Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hat angekündigt, er wolle am 29. Mai in Solingen sprechen. Wie kam es dazu?

Peters: Wir machen jedes Jahr an diesem Tag eine Gedenkfeier zum Brandanschlag auf die türkischstämmige Familie Genç, bei dem 1993 zwei junge Frauen und drei Mädchen ermordet wurden. Weil nun der 25. Gedenktag ansteht, sind wir seit längerer Zeit in den Vorbereitungen. Jedes Jahr nimmt auch ein Vertreter des türkischen Staates teil, wir stimmen das mit dem Generalkonsulat in Düsseldorf ab. Im April haben wir erfahren, dass Außenminister Çavuşoğlu vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet für den 29. Mai zu einer Veranstaltung im Landtag eingeladen wurde und dass zu erwarten wäre, dass er auch nach Solingen kommt. Am Montag hat uns das Generalkonsulat das dann bestätigt.

Es gibt nun Aufregung um den Termin, weil er sehr nah an den türkischen Wahlen liegt, die am 24. Juni stattfinden. Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker sind in Deutschland verboten, die Bundesregierung hat das gerade noch einmal klarstellt. Wie wollen Sie sicherstellen, dass Çavuşoğlu den Auftritt nicht für eine Wahlkampfrede nutzt?

Ich gehe davon aus, dass die türkische Regierung eine hohe Achtung hat vor den Opfern dieses Anschlags und vor den Angehörigen der Familie Genç. Es ist ein Tag des Gedenkens, der Erinnerung und der Trauer. Wahlkampfbotschaften gehören da nicht hin. Das wäre den Angehörigen gegenüber respektlos.

Ist das ein Appell an die türkische Regierung?

Ich glaube nicht, dass das nötig ist. In der Vergangenheit haben die türkischen Regierungsvertreter immer die richtigen Worte gefunden. Außerdem bekommen wir die Redemanuskripte vorab. Wir drucken sie und ihre Übersetzungen in Broschüren, die wir dann bei der Gedenkveranstaltung verteilen, damit auch die Teilnehmer folgen können, die kein Türkisch sprechen. Wir kontrollieren aber auch nicht Wort für Wort, ob jetzt auch alles genau so gesagt wurde, wie es im Manuskript steht.

Was passiert denn, wenn der Text, den Sie vorab zugeschickt bekommen, doch Wahlkampfbotschaften enthält?

Noch mal: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das passieren wird. Es war bisher immer ein würdiges Gedenken, es gab keine Konflikte.

Haben Sie Sorge, dass nun wieder eine große Debatte um Auftritte türkischer Politiker losbricht, so wie vor dem umstrittenen Verfassungsreferendum vom April vergangenen Jahres?

Ich hoffe, dass das nicht so kommt. Diese Gedenkveranstaltung ist wichtig. Das, was hier in Solingen vor 25 Jahren geschehen ist, diese Morde, das war ein Fanal. Die Wahlkampfdebatte ist das falsche Thema. Es muss stattdessen darum gehen, wie wir in Zukunft und auch angesichts des NSU-Terrors solche Katastrophen verhindern.

Sie haben Kontakt zur Familie Genç . Wie blicken die Angehörigen auf die Veranstaltung und die aktuellen Debatten?

Für die Familie ist das Gedenken das Persönlichste überhaupt. Jedes Jahr aufs Neue ist das Erinnern eine große Qual, aber es ist ihnen auch sehr wichtig. Mit der großen Politik möchten sie dabei nicht belästigt werden.

Was hat der Brandanschlag von 1993 mit Solingen gemacht?

Ich erinnere mich noch gut, wie geschockt wir alle waren. Wir hielten es nicht für möglich, dass so etwas passieren könnte. Aber die Wahrheit ist auch, dass in dieser Zeit zu viele Menschen einfach nebeneinander hergelebt haben. Ich selbst habe zum ersten Mal bewusst einen Imam beten hören, als die fünf Särge auf der Straße gestanden haben. Ich habe es als Makel empfunden, dass ich das bis dahin nicht wahrgenommen hatte. Mevlüde Genç, die Mutter, Großmutter und Tante der Ermordeten, hat damals einen unfassbaren Satz gesagt: "Der Tod meiner Kinder soll uns dafür öffnen, Freunde zu werden." Ich erlebe Solingen heute als eine Stadt, in der der Zusammenhalt und das Miteinander stärker geworden sind. Es wäre schlimm, wenn das nun in Gefahr geraten würde.

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