Integrationsgesetz:Renovierung des Irrgartens

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Hinter jeder Ecke eine Kontrolle: Die Koalition droht Flüchtlingen auf vielfältige Weise damit, Leistungen zu kürzen - wenn sie sich nicht korrekt verhalten. Das Integrationsgesetz ist nicht nur deshalb mangelhaft.

Von Heribert Prantl

Das erste Labyrinth der Weltgeschichte baute der Baumeister Dädalus auf Kreta für den wilden Stier Minotauros. Das letzte bekannte Labyrinth baute die deutsche Politik für die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Der schwarz-rot-goldene Irrgarten besteht nicht aus Mauern, sondern aus Paragrafen. Das ist so, seitdem in der Bundesrepublik sogenannte Ausländer- und Zuwanderungsgesetze gemacht werden.

Das neue Integrationsgesetz, das nun auf dem Koalitionsgipfel in Meseberg auf den Weg gebracht werden soll, müsste, um seinen Namen zu verdienen, zu allererst dieses alte Labyrinth einebnen; es müsste dann an dessen Stelle ein übersichtliches Straßen- und Wegesystem errichten, das zur Integration führt. Das schafft das neue Integrationsgesetz nicht. Es renoviert den Bundes-Irrgarten nur; der ist künftig nicht mehr ganz so verwirrend wie bisher. Aber auch ein renovierter Irrgarten bleibt ein Irrgarten - selbst dann, wenn am Eingang ein neues Motto steht, das jetzt (wie bei Hartz IV) "fordern und fördern" heißt.

Das Problem des neuen Integrationsgesetzes besteht vor allem darin, dass es seine Ziele nicht klar formuliert und keine ausreichende Rechtssicherheit bringt. Die Flüchtlinge werden zu lange in Unsicherheit darüber gehalten, wie es mit ihnen und wie es mit ihrer Familie weitergeht. Angesichts der gewaltigen Aufgaben, die anstehen, müsste das neue Gesetz ein Masterplan für Integration sein, ein Integrations-Grundgesetz. Es sei dies ein "historisches Gesetz", haben seine Schöpfer gesagt. Historisch ist in der Tat die Aufgabe; aber die Antwort ist es noch nicht.

Hinter jeder Biegung eine Kontrolle

Zu den Kernelementen des neuen Gesetzes gehört die Wohnsitzauflage: Auch den schon anerkannten Flüchtlingen soll künftig ein bestimmter Wohnort zugewiesen werden. Wenn solche Wohnsitzauflagen dazu führen, dass Flüchtlinge in öde Gegenden weggesperrt werden, ist das ungut. Wenn Wohnsitzauflagen gar eine Arbeitsaufnahme andernorts unmöglich machen oder sehr erschweren, ist das eine Katastrophe. Das Gesetz gibt Flüchtlingen einen dauerhaften Aufenthaltstitel nur dann, wenn sie ihren Lebensunterhalt selbst sichern können. Wenn das Gesetz genau das mit Wohnsitzauflagen erschwert, wird daraus Schikane. Eine Wohnsitzauflage, die zum Integrationshindernis wird, gehört nicht in ein Integrationsgesetz.

Im renovierten Bundes-Irrgarten wartet an jeder zweiten Biegung eine Kontrolle, bei der eine Kürzung der Leistungen droht. Das ist zu akzeptieren, wenn die Förderung durch Sprachkurse, Integrationskurse und berufsqualifizierende Maßnahmen ausreichend ist. Die Förderung ist aber nicht ausreichend, sie ist ungenügend. Es wäre daher gut, wenn das Integrationsgesetz die Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit den Initiativen der Zivilgesellschaft regeln würde; das tut es nicht.

Das neue Bundes-Integrationsgesetz ist gleichwohl besser als das bayerische Integrationsgesetz, das vor Kurzem im Kabinett Seehofer beschlossen wurde. Dieses bayerische Gesetz liest sich, als habe die AfD daran mitgeschrieben. Die Schulpflicht für Kinder in Aufnahmeeinrichtungen wird gestrichen; und Flüchtlinge, die ihren Sprachkurs nicht mit den erwartbaren Ergebnissen abschließen, sollen die Kosten für den Kurs selber tragen müssen. Durchs Gesetz zieht sich eine "bayerische Leitkultur", an der sich die Integration orientieren soll, die aber nirgendwo definiert wird. Dazu kommen noch neue Sanktionen bis zu 50 000 Euro für alle Menschen, die sich der "Rechts- und Werteordnung" verweigern, ohne dass ihnen dafür eine Straftat nachgewiesen werden muss.

Im Lichte solchen gefährlichen legislativen Unfugs erscheint einem das geplante Bundes-Integrationsgesetz schon fast wieder progressiv.

© SZ vom 23.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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