Innere Sicherheit:Nur bei konkreter Gefahr

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Vor vier Jahren in Berlin: der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Solche Taten nennen die Behörden, um einen leichteren Zugriff auf Daten durchzusetzen. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Das Bundesverfassungsgericht erlaubt die IT-Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten, macht dafür aber strenge Vorgaben.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Für Karlsruher Entscheidungen über Sicherheitsgesetze hat sich die Formel "Ja, aber" eingebürgert. Meist sagt das Bundesverfassungsgericht im Prinzip Ja, schneidet dann aber doch einige Vorschriften zurück. So ist es auch dieses Mal. Die Anti-Terror-Datei, reformiert im Jahr 2015, ist zwar verfassungsgemäß. Nichtig ist aber eine Vorschrift, welche die "erweiterte Nutzung" von Daten an allzu laxe Voraussetzungen knüpft. Interessant daran ist indes nicht so sehr das "Aber". Sondern die Frage, wozu Karlsruhe eigentlich "Ja" gesagt hat.

Die Anti-Terror-Datei, beschlossen 2006, sollte das auf viele Behörden verteilte Wissen im Anti-Terror-Kampf besser verknüpfen. Geschaffen wurde eine Verbunddatei für 38 Ämter und Geheimdienste, die aber lediglich als Fundstellennachweis ausgestaltet war: Ein direkter Zugriff war nur auf wenige Grunddaten von Personen aus der Terrorszene erlaubt, wie Name, Anschrift, Staatsangehörigkeit. Wer Details erfahren wollte - Arbeit in Infrastrukturbetrieben, terrorismusrelevante Fähigkeiten -, musste sich erst die Freigabe der speichernden Behörde holen. Also keine Superdatenbank, sondern ein Werkzeug, um die verstreuten Informationen überhaupt erst zu finden.

2013 beanstandete das Bundesverfassungsgericht das Gesetz. Der Kreis der damals 18 000 gespeicherten Personen war zu großzügig bemessen. Kontaktpersonen durften fortan nicht mehr so einfach gespeichert werden - Menschen sollten nicht ohne eigenes Zutun in die Mühlen der Sicherheitsbehörden geraten können.

Ein "erheblicher Mehrwert" - aber nur aus Sicht der Dienste

Vor allem aber mahnte das Gericht damals nachdrücklich eine "informationelle" Trennung von Polizei und Geheimdiensten an. Der Grundgedanke dabei ist, dass die Nachrichtendienste freier bei der Erhebung von Informationen sind, und zwar deshalb, weil sie im Unterschied zur Polizei keine operativen Befugnisse haben: Sie können niemanden festnehmen. Diese Unterschiede, so mahnte Karlsruhe, dürfen nicht durch die Hintertür des Informationsaustauschs verwischt werden.

Ins Korrekturgesetz nahm der Gesetzgeber freilich eine ganz neue Vorschrift auf, die mit der treuherzigen Idee der Verbunddatei nur noch wenig zu tun hat. Der neue Paragraf 6a soll eine "erweiterte Nutzung" der Daten erlauben. Da ging es nicht mehr nur um Austausch, sondern um IT-gestützte Auswertung von Daten, um Zusammenhänge herzustellen oder zu erkennen. Fachleute sprechen hier von "Data Mining", von Daten-Bergbau also.

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz soll damit ein "erheblicher Mehrwert" verbunden sein. Gedacht wurde dabei etwa an Personen, die nach Syrien oder in den Irak reisen oder von dort zurückkehren. Die Datenanalyse kann Reisewege mit sonstigen Verdachtsmomenten verknüpfen und daraus neue Ermittlungsansätze generieren; sie wäre also womöglich ein brauchbares Instrument für einen datengestützten Anti-Terror-Kampf. Aber von der Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, die dem Verfassungsgericht 2013 so wichtig war, blieb damit nicht mehr so viel übrig.

Die Regelung im Gesetz ist den Richtern zu vage

Die Antwort des Ersten Senats auf die Reform lautet nun: Dieses "Data Mining" - in der Praxis bisher angeblich noch nicht im Einsatz - ist erlaubt, wenn es einem "herausragenden öffentlichen Interesse" dient. Nämlich dem "Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern wie Leib, Leben und Freiheit der Person sowie Bestand oder Sicherheit des Bundes oder eines Landes". Und zwar nicht ins Blaue hinein, sondern nur bei konkreten Gefahren oder tatsächlichen Anhaltspunkten. Soweit es Nachrichtendienste betrifft, erfüllt das Gesetz diese Vorgaben, nicht aber dort, wo es um die erweiterte Datennutzung durch Strafverfolger geht. Dafür wollte das Gesetz bereits die "Erforderlichkeit im Einzelfall" genügen lassen - das war den Richtern zu wenig.

Und das Trennungsprinzip? Matthias Bäcker, Professor für Öffentliches Recht in Mainz, beobachtet seit Längerem, dass sich Polizei und Nachrichtendienste annähern. Die Polizei werde "vernachrichtendienstlicht", und die Dienste sähen ihre Aufgabe längst auch in der Verhinderung von Terroranschlägen - und eben nicht mehr nur in der Politikberatung über sicherheitsrelevante Entwicklungen. Sollte sich diese Entwicklung freilich fortsetzen, sagte Bäcker der SZ, müsste konsequenterweise die Freiheit der Dienste bei der Erhebung von Informationen eingeschränkt werden.

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