Innenminister:Radikale Anwerber

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Die Innenminister wollen Flüchtlinge vor Islamisten schützen. Es geht auch um Einrichtungen, die sich präventiv mit den Radikalen auseinandersetzen. Die wenigen Stellen, die es gibt, sind überfordert.

Von Stefan Braun, Berlin

Wenn sich die Innenminister von Bund und Ländern zweimal im Jahr zu ihrer Konferenz treffen, dann geht es immer um Sicherheit, um Extremismus, um Verbrechen und Gewalt. Das ist schon in ruhigeren Zeiten so. Aber in Zeiten des Terrors gilt es ganz besonders. Deshalb steht auch bei der Herbsttagung 2015, die am Donnerstag und Freitag in Koblenz stattfindet, der Kampf gegen den Terror ganz oben auf der Tagesordnung. Der Bericht zur Sicherheitslage, mit dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Treffen nach den Anschlägen von Paris einleiten wird, dürfte länger ausfallen als in früheren Jahren.

Doch so logisch das erscheint, so bemerkenswert ist das, was sich daran anschließen wird. Anders als früher steht dieses Mal - endlich - nicht nur die Arbeit von Polizei und Verfassungsschützern ganz oben. Es soll auch um das gehen, was bislang in Sonntagsreden besonders laut gepriesen und von Montag bis Samstag besonders dramatisch vernachlässigt wurde: die Prävention im Kampf gegen Salafisten und Dschihadisten in Deutschland. Das beginnt mit Überlegungen, wie man Hunderttausende Flüchtlinge vor salafistischer Propaganda und Anwerbung schützen kann. Seit längerer Zeit gibt es Berichte von Flüchtlingsunterkünften, in denen die salafistische Szene versucht, speziell zu den Jugendlichen vorzudringen und ihr Gedankengut dort anzubringen. Allerdings verweisen Polizei und Flüchtlingshelfer fast ebenso oft darauf, dass vor allem Flüchtlinge aus Syrien selbst darauf achten, die Anwerber loszuwerden. Trotzdem werden die Minister nach Wegen suchen, um den Salafisten keinen Raum zu lassen.

Noch wichtiger ist es, ob sie sich in Koblenz darauf verständigen, ein wirklich enges und länderübergreifendes Netzwerk an Einrichtungen zu schaffen, die sich präventiv mit dem radikalen Islamismus und dem Netzwerk der Dschihadisten auseinandersetzen. Gut ein Jahr nach der ersten großen Welle, in der über die Mängel in diesem Bereich öffentlich berichtet wurde, hat sich die Lage für die wenigen Einrichtungen bundesweit nur geringfügig verbessert. Beratungsstellen wie Hayat in Berlin, die sich um betroffene Jugendliche genauso kümmern wie um Dschihad-Heimkehrer aus Syrien, die aussteigen wollen, sind seit den Anschlägen von Paris wieder massiv überfordert. Zumal sie sich nicht nur um betroffene Jugendliche kümmern, sondern zum Zwecke der Prävention auch für Freunde, Lehrer und Verwandte als Berater, Helfer, Tröster fungieren. Vor einem Jahr gab es bundesweit höchstens zwei Dutzend solcher Experten. Im Herbst 2015 ist ihre Zahl etwas größer. Aber nach wie vor sind sie nicht in der Lage, die Menschen in Not angemessen zu betreuen.

Die Einzelfallprüfung für Syrer dürfte Thema der Konferenz sein

Nimmt man diese Probleme, dann könnten sie allein eine Herbstkonferenz füllen. Dieses Jahr aber drängt weiteres auf die Agenda. Und dazu gehört ein Thema, das vor wenigen Wochen fast zum Eklat in der großen Koalition führte, jetzt aber friedlich abgeräumt werden könnte. Gemeint ist der von Thomas de Maizière zunächst verkündete und dann wieder zurückgestellte Beschluss, auch bei syrischen Flüchtlingen künftig wieder den genauen Flüchtlingsstatus einzeln zu prüfen. Diese Prüfung war im November 2014 von den Innenministern aufgehoben worden. Der Grund: Sie wollten in einer frühen Phase (damals waren die Flüchtlingszahlen höher als zuvor, aber viel geringer als heute) die Verfahren beschleunigen. Also sollten die Entscheider des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge alle Syrer als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention akzeptieren. Das sparte einen Prüfschritt und garantierte allen Syrern einen guten Status. Davor waren 40 Prozent im subsidiären Schutz gelandet, mit dem sie zwar aufgenommen werden, aber weniger Rechte haben.

Seit dem Spätsommer hat sich der Blick auf den Nutzen und die Kosten dieses Beschlusses verändert. Zigtausende Flüchtlinge sind seither ohne Registrierung ins Land gekommen, weil die Registrierstellen dazu allein mengenmäßig nicht mehr in der Lage waren. Diesen rechtlich unsicheren bis problematischen Zustand wollen inzwischen wohl auch die meisten SPD-Landesinnenminister wieder ändern und deshalb zur Einzelfallprüfung zurückkehren. Das kostet zwar mehr Zeit, verhindert aber, dass Tausende unregistriert aufs ganze Land verteilt werden. Auf der offiziellen Tagesordnung findet sich dieser Punkt zwar nicht. Wie zu hören ist, könnte darüber trotzdem entschieden werden.

Und das hängt damit zusammen, dass die viel problematischere Entscheidung in Koblenz nicht fallen wird. Noch immer streitet die Koalition in Berlin heftig darüber, ob syrische Flüchtlinge, die nur noch subsidiären Schutz erhalten, auch das Recht auf Familiennachzug verlieren. Die Union will das, die SPD zweifelt. Deshalb werden diesen Knoten nur die Parteivorsitzenden lösen können.

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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