Es hat nur wenige Tage gedauert, bis sich Rizieq Shihab nach seiner Rückkehr aus dem selbst verordneten Exil ins Zentrum des Geschehens von Jakarta katapultierte. Dabei half dem umstrittenen islamistischen Prediger zunächst seine Ankündigung, er wolle seine Heimat endlich mit einer "moralischen Revolution" beglücken. Solche Worte aus dem Munde Rizieqs werden in liberalen und säkularen Kreisen Indonesiens kaum als Heilsversprechen verstanden. Vielmehr klingen sie wie eine Drohung.
Dieser Mann, der sich wegen drohender Gerichtsverfahren vor drei Jahren nach Saudi Arabien zurückgezogen hatte, dient nun einer Bewegung als Lautsprecher, die den riesigen Vielvölkerstaat Schritt für Schritt einer islamistischen Weltsicht unterwerfen möchte. Die große Mehrheit der Menschen zwischen Sumatra und Papua sind muslimischen Glaubens. Zwar schützt die Verfassung den Pluralismus, doch Minderheiten geraten in Indonesien immer stärker unter Druck.
Rizieq hat nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten gleich nach seiner Rückkehr größere Verwerfungen ausgelöst. Er ließ rechtzeitig zum Geburtstag des Propheten Mitte November eine große Hochzeit für seine Tochter steigen. Es kamen geschätzt 10 000 Gäste und Besucher. Und das in Zeiten, in denen der Staat ohnehin kaum in der Lage ist, eine steigende Zahl von Corona-Infektionen in den Griff zu bekommen.
Das Mega-Fest geriet zur Blamage für Indonesiens Präsidenten Joko Widodo. Infektiologen reagierten fassungslos, zumal die Feier auch noch von der Polizei abgesegnet worden war. Deren Chefs sind nun eilig versetzt worden, aber das wird an den möglichen epidemiologischen Folgen der Zusammenkunft, bei der weder Abstandsregeln noch der Maskenschutz eingehalten wurde, nichts mehr ändern. In mehreren asiatischen Ländern war schon zu beobachten, wie große religiöse Zusammenkünfte Corona-Hotspots den Weg bereiteten. Rizieq aber ließ Kritik abperlen, stattdessen beschwor er Allah, der sie alle doch bald von den Gefahren des Virus befreien möge.
Spätestens seitdem Shihab 2017 mit seinen Hetzreden gegen Ahok, den Gouverneur von Jakarta, zu Felde zog, wächst auch jenseits der Grenzen die Sorge, dass Hassrhetorik islamistischer Kräfte eine toxische Stimmung im multikulturellen Indonesien schürt. Mit Blasphemie-Vorwürfen war es Rizieq gelungen, die Karriere des Politikers zu beenden und ihn ins Gefängnis zu bringen. Ahok hat chinesische Wurzeln und ist Christ, sein Schicksal schüchtert Minderheiten ein. Jetzt hetzt Rizieq sogar, Gotteslästerer müsse man exekutieren.
Wie das australische Lowy Institute schreibt, manifestiert sich in der Rückkehr Rizieqs der Versuch islamistischer Kräfte, sich rechtzeitig für die Wahlen 2024 in Position zu bringen. Bislang spielt der politische Islam im Parlament keine dominierende Rolle, doch seine Kraft dürfte wachsen, auch durch die Agitation von Hardlinern wie Rizieq, der Religion ausnutzt, um zu polarisieren.
Für Präsident Widodo komplizieren die islamistischen Ambitionen das Regieren, er spürt bereits Gegenwind aus der Arbeiterbewegung, die gegen ein Gesetz zur Förderung der Wirtschaft protestiert. Eine Rezession macht dem Staat zu schaffen. Und im Kampf gegen Corona wirkt Widodo unentschlossen. Viele frühere Anhänger des Präsidenten sind außerdem enttäuscht, weil er näher an das Militär herangerückt ist, dessen Menschenrechtsverletzungen aus Zeiten der Diktatur bleiben ungesühnt.
Rizieq könnte sich nun als Magnet für Unzufriedene in religiös-konservativen Kreisen erweisen, früher machte er auf sich aufmerksam, indem er mit den selbsternannten Tugendwächtern seiner "Islamischen Verteidigerfront" (FPI) Nachtclubs stürmte, sie galten ihm als Zeugnis des sittlichen Verfalls. Auch Christen und Ahmadis müssen den charismatischen Anführer fürchten. Dessen Popularität hat nicht gelitten, Zehntausende strömten Anfang November zum Flughafen, um ihn zu empfangen.
Alte Gerichtsverfahren, die einst gegen Rizieq angestrengt wurden, sind eingestellt. In einem Fall soll er in einem Chat eine Anhängerin aufgefordert haben, ihm Nacktbilder zuzuschicken. Indonesien hat strikte Gesetze gegen Pornographie, die Rizieq beinahe selbst zum Verhängnis geworden wären. Doch dann stellte die Polizei das Verfahren ein, man sei bei den Ermittlungen nicht weitergekommen.
So zieht Rizieq nun ungehindert los, seine "moralische Revolution" will er durch religiöse Massentreffen vorantreiben. Und wehe, der Präsident funkt ihm dazwischen. "Wir werden es nicht tolerieren, wenn jemand versucht, Versammlungen von Muslimen zu verbieten", sagte Rizieq. Er wirkt kampfeslustig, als stünde der größte Feldzug für den Islam erst noch bevor.