Horst Seehofer:Ankündigung mit ungewollten Folgen

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Der Innenminister hat gedroht, eine Journalistin anzuzeigen. Doch er zögert - auch weil die Kanzlerin nichts davon hält.

Von Constanze von Bullion und Nico Fried, Berlin

Die Stimmung war schon mal heiterer im Bundesinnenministerium, so viel zumindest schien am Dienstag festzustehen. Es wurde nach einem Ausweg gesucht - vorzugsweise nach einem ohne Gesichtsverlust bei gleichzeitiger Krachvermeidung mit der Bundeskanzlerin. Das war nach allem Anschein kein ganz unkompliziertes Manöver.

Bundesinnenminister Horst Seehofer ist unter Druck geraten, nachdem er angekündigt hatte, Strafanzeige gegen eine Autorin der Tageszeitung taz zu stellen. In einer Kolumne hatte Hengameh Yaghoobifarah die Polizei sinngemäß als gesellschaftlich nutzlos und einen Fall für die "Müllhalde" bezeichnet. Seehofer hielt das für nicht hinnehmbar, zumal unter dem Eindruck der schweren Krawalle in Stuttgart, bei denen am Wochenende 19 Polizeibeamte verletzt und Läden geplündert wurden. Er kündigte an, noch am Montag Strafanzeige gegen die taz-Kolumnistin zu stellen, weil sie Übergriffe gegen die Polizei befeuert habe. Geschehen ist bis Dienstagnachmittag aber nichts dergleichen. "Der Bundesinnenminister hat bislang noch nicht abschließend über die Strafanzeige entschieden", teilte sein Sprecher mit.

Es häufen sich Attacken gegen Staatsbedienstete: Seehofer will sich schützend vor sie stellen

Offenbar wurde im Innenministerium am Dienstag nach Kräften rangiert, um schadlos aus der Sache herauszukommen. Zum einen war da die Kanzlerin, die schon am Montag hatte erkennen lassen, dass ihr die taz-Kolumne zwar nicht gefallen hat, sie aber auch von einer Strafanzeige gegen eine Journalistin nichts hält. Sie bat Seehofer um ein Gespräch, das am Montag offenbar ergebnislos endete. Ob beide am Dienstag weiter redeten, ist unklar, aber naheliegend. Seehofer sagte alle öffentlichen Termine ab, auch die Präsentation des Verfassungsschutzberichtes. Einen Festakt zur Gründung der Deutschen Stiftung Ehrenamt in Mecklenburg-Vorpommern ließ er "aus Termingründen" ebenfalls ausfallen.

Je länger die Sache dauerte, desto deutlicher wurde: Der Minister hatte sich selbst in ein Dilemma begeben. Zum einen häufen sich Attacken auf Rettungskräfte, Kommunalpolitiker und Staatsbedienstete. In der Statistik über Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte zählte das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr 27,5 Prozent mehr tätliche Angriffe als im Vorjahr. In Großstädten war der Anstieg noch stärker. Es werde immer ungehemmter getreten, gepöbelt und bespuckt, berichten Polizeigewerkschaften. In der Pandemie verschärfe sich die Lage.

Seehofer betrachtet den schwindenden Respekt als Auftrag, sich schützend vor die Polizei zu stellen, einerseits. Die Strafanzeige sollte da ein Zeichen setzen. Andererseits fiel die Resonanz auf sein Vorhaben ausgesprochen unerfreulich aus. Zahlreiche Medien kritisierten die Drohung mit einer Strafanzeige als Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit. "Der Weg über das Strafrecht ist immer mit Einschüchterung verbunden", sagte der Geschäftsführer des Deutschen Presserats, Roman Portack der Augsburger Allgemeinen. In der Folge könnten Journalisten "möglicherweise später einmal zögern, bevor sie etwas veröffentlichen. Wir wollen aber keine Schere im Kopf".

Und auch der Koalitionspartner machte Druck. "Ich stelle sehr infrage, ob es Aufgabe eines Bundesinnenministers ist, Anzeige zu stellen gegen eine kritische Journalistin", sagte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. Sie habe den Text der taz-Autorin "auch nicht lustig" gefunden. "Aber das ist kein Grund, Anzeige zu erstatten, schon gar nicht von staatlicher Seite." Die Journalistin sei nun der "Wut der Straße" ausgesetzt. So etwas dürfe der Staat "auf gar keinen Fall befördern".

Aus der Unionsfraktion erhielt Seehofer Rückendeckung. Es sei legitim zu prüfen, ob Grenzen überschritten worden seien, sagte Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU) der Welt. Seehofer habe recht, sich als oberster Dienstherr schützend vor die Polizei zu stellen. Die CDU-Medienpolitikerin Elisabeth Motschmann meinte: "Selbst wenn der Artikel unter die Pressefreiheit, die ich immer verteidigen werde, fallen sollte, ist es wichtig, dass der Bundesinnenminister versucht, uns für die fortschreitende Verrohung in unserer Gesellschaft zu sensibilisieren." Beim Lesen der taz-Kolumne sei ihr "übel" geworden.

In Unionskreisen wurde allerdings auch Bedauern darüber geäußert, dass Seehofer durch seine Ankündigung einer Strafanzeige den Fokus von den Ereignissen in Stuttgart weggelenkt habe, hin zur Frage, wie ein Innenminister sich zur Pressefreiheit verhalten müsse. Als denkbarer Ausweg für Seehofer galt, die Polizei unmissverständlich und öffentlich in Schutz zu nehmen - und im Gegenzug auf die Strafanzeige zu verzichten. Bei der taz seien schließlich schon etliche Strafanzeigen eingegangen, so dass es Seehofers Intervention nicht mehr bedürfe. Ob es so kommen würde, blieb zunächst aber offen.

© SZ vom 24.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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