Hongkong:Stadt unter Schock

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"Wir zeigen aber, dass wir bereit sind, weiter zu kämpfen." Auch am Donnerstag haben in der Innenstadt der Sonder­verwaltungszone wieder den ganzen Tag über Menschen gegen das umstrittene Auslieferungs­gesetz mit Peking demonstriert.

Von Lea Deuber, Hongkong

Um zu erklären, warum er an diesem Tag nicht ins Büro gegangen ist, zeigt Mike in Richtung des Parlamentsgebäudes von Hongkong. Er wollte den Triumph nicht verpassen: Vor zehn Minuten ist dort ein Abgeordneter herausgekommen, um mitzuteilen, dass die Debatte über ein Auslieferungsabkommen mit Peking erneut abgesagt wurde. Als klar wird, dass die zweite Lesung des umstrittenen Gesetzes nicht stattfindet, reckt der Angestellte freudig seinen Arm in die Höhe.

Der 28-Jährige gehört zu einigen hundert Demonstranten, die am Donnerstagvormittag Richtung Hongkonger Regierungsviertel gefahren sind. Die Polizei hatte das Gelände einen Tag nach den Protesten mit schweren Krawallen weiträumig abgesperrt. Mike und die anderen Protestierenden stehen nun auf einer Fußgängerbrücke. Davor haben sich mehrere Dutzend schwer bewaffnete Einsatzkräfte aufgebaut, um ihnen den Weg abzuschneiden. Der 28-Jährige, der aus Angst vor rechtlichen Schwierigkeiten lieber nur seinen englischen Vornamen nennt, ist aber trotzdem zufrieden. Zwar scheint die Lesung des Gesetzes erst einmal nur aufgeschoben zu sein. "Wir zeigen aber, dass wir bereit sind, weiterzukämpfen."

In der Innenstadt von Hongkong haben am Donnerstag wieder den ganzen Tag über Menschen demonstriert. Einige Gruppen sangen über Stunden in der Nähe des Regierungssitzes. Andere marschierten mit Transparenten vor den Polizisten auf und ab, die das Parlament beschützen sollten. Eine Frau mit einem gelben Regenschirm in der Hand brüllte die Einsatzkräfte an. Ob sie immer noch nicht genug hätten und dass sie sich schämen sollten. Sie drehte sich immer wieder weg und kam dann doch zurückgelaufen.

Am Sonntag und Montag sollen erneut Proteste im Zentrum stattfinden

Einen Tag nach den schweren Ausschreitungen wirkt Hongkong wie unter Schock. Die U-Bahnstation Admiralty war bis zum Donnerstagnachmittag geschlossen. Im Regierungsviertel stapelte sich noch der Müll, den die Einsatzkräfte und die Demonstranten zurückgelassen hatten. Darunter waren Wasserflaschen, Energieriegel, Masken zum Schutz gegen das Tränengas und Verbandszeug. Einige Demonstranten kamen zurück, um die Reste und den Müll aufzusammeln. Auch Bagger der Stadt waren im Einsatz. Die Zahl der Verletzten der Krawalle stieg zwischenzeitlich auf mindestens 79. Einige Teilnehmer wurden schwer verletzt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf der Polizei "exzessive Gewalt" vor.

Wie viele Demonstranten festgenommen wurden, ist bisher nicht bekannt. Es gibt Berichte über mindestens sechs Verhaftungen.

Am Sonntag waren nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen hunderttausend und einer Million Menschen gegen das umstrittene Auslieferungsgesetz auf die Straße gegangen. Die friedliche Kundgebung war nach Angaben von Beobachtern die größte seit dem Protest vor drei Jahrzehnten gegen die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking am 4. Juni 1989. In den Folgetagen hatten Tausende Demonstranten das Areal und umliegende Straßenzüge belagert. Die Polizei ging am Mittwoch mit Tränengas, Schlagstöcken, Wasserwerfern und Pfefferspray vor, um die Demonstranten zu vertreiben.

Regierungschefin Carrie Lam rief die Bevölkerung dazu auf, "schnell zur Ordnung zurückzukehren". Das Gesetz über die Auslieferung sei notwendig, damit Hongkong kein Zufluchtsort für Kriminelle werde. Trotz des massiven Widerstands unter den sieben Millionen Hongkongern will die Regierungschefin das Gesetz weiter schnell durchs Parlament bringen.

Kritiker des Auslieferungsabkommen fürchten, dass das Gesetz den chinesischen Behörden ermöglicht, die Auslieferung von Hongkonger Staatsbürgern nach China zu verlangen. Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" als eigenes Territorium autonom regiert. Die Einwohner der heutigen chinesischen Sonderverwaltungsregion genießen das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit.

Am Sonntag und Montag sollen erneut Proteste in der Innenstadt stattfinden, zu denen erneut Tausende Demonstranten erwartet werden. Einige Organisationen riefen zudem zu einem Generalstreik am Montag auf.

© SZ vom 14.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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