Home-Office:Kannst du mal eben?

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Jeder Heimarbeiter braucht eine Vereinbarung - mit seinem Partner.

Von Detlef Esslinger

Schnaps ist Dienst, und Dienst ist Schnaps. So lässt sich eine Studie zusammenfassen, welche die Hans-Böckler-Stiftung in dieser Woche veröffentlicht hat. Den Autoren, die dem DGB nahestehen, ging es darin ums Home- Office, um die ewige Frage: Kann man das den Leuten wirklich guten Gewissens empfehlen? Die Autoren beziffern das Risiko auf 45 Prozent, dass Heimarbeiter abends nicht abschalten können. Es sei doppelt so hoch wie bei ihren Kollegen, die nie zu Hause arbeiten.

Debatten übers Home-Office laufen meistens unter dem Motto "Recht auf...", nicht nur in den Niederlanden, wo es dieses Recht seit einem Jahr allgemein gibt. Manche Vorteile sind ja offensichtlich: Wer in der Firma den Tag im Großraumbüro bewältigen muss, freut sich in dem Refugium daheim, dass man nicht alle zweieinhalb Minuten angesprochen wird oder das Geplapper von Kollegen mithören muss. Man spart sich den Weg zur Arbeit - also den Stress, den Fahrten im Stau oder in der überfüllten S-Bahn bedeuten. Man ist flexibel, wenn die Kita geschlossen ist oder die Mutter zwischendurch zum Arzt gebracht werden muss.

Trotzdem ist das Home-Office vielen Gewerkschaften wie Arbeitgebern gleichermaßen suspekt; wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Gewerkschaften haben ebenfalls ein Motto, unter dem sie es bevorzugt diskutieren, nämlich: "Pflicht zu..." - die Pflicht der Arbeitgeber, auch im Heim des Arbeitnehmers ergonomisch ideale Stühle, Tische und Computer zu garantieren, und überhaupt alle Paragrafen der ArbStättV (also der Arbeitsstättenverordnung) peinlichst zu erfüllen. Viele Arbeitgeber halten solche Ansprüche an sie für Auswüchse von realitätsfremder Regulierungswut. Sie gehen dabei jedoch über den Umstand hinweg, dass Regulierung auch ein, mitunter übertriebenes, Bedürfnis von ihnen selbst ist. Immer noch gibt es Chefs, die Heimarbeitern nicht trauen, die Leistung in Präsenz messen und die bei Gehaltserhöhungen als Erste diejenigen bedienen, die sie täglich um sich haben. Schätzungen sagen, dass fast jeder Dritte gern zu Hause arbeiten würde. Aber nur jeder Fünfundzwanzigste macht es täglich.

Jeder Heimarbeiter braucht eine Betriebsvereinbarung. Aber nicht unbedingt mit der Firma

Wer es anstrebt, der sollte dies daher erstens in Kenntnis seines Arbeitgebers und dessen Macken tun, zweitens aber vor allem in Kenntnis seiner selbst. Die Böckler-Studie weist ja auf das Kernproblem hin: Indem Arbeit, Familie, Haushalt, Garten, Kühlschrank und Couch dort eins sind, nimmt das Home-Office dem Tag leicht jede Struktur. Es verlangt eine besondere Selbstdisziplin und -organisation. Wenn so vielen Heimarbeitern das Abschalten schwerfällt, ist dies ein Indiz, dass hier eine besondere Form der Überforderung vorliegt; vor allem dann, wenn jemand nicht bloß ab und an, sondern immer daheim arbeitet.

Im Übrigen gehen nicht allein vom Großraumbüro Belästigungen aus, sondern auch vom Wohnzimmer. Jeder Heimarbeiter, zumindest jeder, der nicht alleine lebt, kennt doch diesen einen Satz, den er fürchtet wie sonst keinen: "Kannst du mal eben?" Aufs Klingeln achten, die Wäsche holen, den Herd ausschalten. Die 30-Sekunden-Zumutung, die zehn Minuten Konzentration kostet. Gewerkschaften können vor Arbeitgebern schützen. Die Betriebsvereinbarung mit dem Partner muss jeder selbst schließen.

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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