Hochwasser:Föhn oder Tiefkühltruhe?

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Wie Archive nach der Flut wichtige Schriftstücke retten.

Von Christoph Koopmann

Die Kühltruhe hat ihren Nutzen auch über die längerfristige Lagerung von Erbsen, Pizza und vergessenen Eintopfresten aus dem vorletzten Winter längst bewiesen. Wer einmal Läuse von Kinderkopfkissenbezügen loszuwerden versuchte, wird es wissen. In größeren Kühlhäusern lagert im Moment ebenfalls schwer Verdauliches, was mit einer der größten Katastrophen der jüngeren deutschen Geschichte zu tun hat, der Juli-Flut in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz: die gesammelte Erinnerung der Hochwassergebiete in Schriftstücken, gekühlt auf knapp minus 20 Grad Celsius.

Wasser, Schlamm, Fäkalien überall

Denn die Flut hat auch zahlreiche Archive überschwemmt. In Bad Münstereifel etwa sei das Stadtarchiv bis unter die Decke geflutet gewesen, sagt Mark Steinert, Leiter des Archivberatungs- und Fortbildungszentrums beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) in NRW. Wasser, Schlamm, Fäkalien überall. Aber: Man habe in den betroffenen Archiven binnen zweieinhalb Wochen nach der Flut etwa 90 Prozent der Bestände bergen können.

Was noch zu holen war, und das waren nach Steinerts erster Schätzung 30 000 Kartons Unterlagen, wurde erst mit Wasser vom gröbsten Dreck befreit. Damit sich Schimmelpilze und Bakterien nicht ausbreiten, packte man alles in Folie, lud es auf Paletten - und fuhr es ins Kühlhaus, wo normalerweise nur Lebensmittel lagern. Dort könne das Archivgut Wochen, Monate, notfalls Jahre vor sich hin frieren, erklärt Steinert.

Um das durchnässte Material noch irgendwie retten zu können, muss es nämlich gefriergetrocknet werden - also eingefroren, damit dann mithilfe eines Vakuums beim Auftauen die Flüssigkeit entzogen werden kann. Erst danach kann mit der eigentlichen Restaurierung des teils schwer beschädigten Materials begonnen werden. "Bis die Archive wieder in einem Zustand wie vor dem Hochwasser sind, wird es etwa zehn Jahre dauern", sagt Archiv-Fachmann Steinert. Die Schäden an den Unterlagen seien vergleichbar mit denen in Köln, wo 2009 das Stadtarchiv eingestürzt ist - das neue Archiv wird diesen September eröffnet. 60 bis 70 Millionen Euro dürften Rettung und Restaurierung des Archivguts allein aus den Flutgebieten in NRW kosten, schätzt Steinert, die Sanierung der Räumlichkeiten noch nicht eingerechnet.

In Rheinland-Pfalz seien die meisten Archive überraschenderweise glimpflich davongekommen, sagt Elsbeth Andre, Leiterin der Landesarchivverwaltung. Doch beim sogenannten Registraturgut, also allem, was noch aus jüngerer Zeit stammt, aber irgendwann in Archive überführt werden soll, seien die Schäden immens. Beim Amtsgericht Ahrweiler habe das Wasser Unmengen Grundbücher oder Notariatsunterlagen überschwemmt. Aus dem Stadtarchiv mussten sie 84 Europaletten mit Dokumenten einfrieren. Eine überflutete Schule, in der die Stadtverwaltung Sinzig Schriftstücke aufbewahrte, sei auch knapp vier Wochen nach der Flut noch nicht zugänglich.

Wer selbst Abschlusszeugnisse oder Urkunden vor dem Wasser zu retten hat, könne laut Archiv-Fachmann Steinert auch die eigene Kühltruhe nutzen. Abspülen, in Frischhaltefolie und einfrieren. Für die anschließende Gefriertrocknung müssten die Dokumente zwar zum Spezialisten, aber alles besser als föhnen: Die Wärme hat der Schimmel gern.

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