Die deutschen Hochschulen wollen mit neuen digitalen Strategien auf die immer vielfältigere Studentenschaft eingehen. Dies geht aus einem Thesenpapier hervor, das eine Expertenrunde aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik kürzlich in Berlin vorgestellt hat. Maßgeblich beteiligt war die Hochschulrektorenkonferenz, ein Dachverband mit fast 300 Mitgliedern. Die Digitalisierung biete "Möglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft werden", heißt es. Eine Lehre, die nicht mehr nur ganz klassisch in Hörsälen und Seminarräumen stattfindet, ermögliche etwa "flexible Studienzeiten und individuellen Lernprozess". Und dies trage dazu bei, "Herausforderungen wie eine wachsende und zunehmend vielfältigere Studierendenschaft zu bewältigen".
Wenn im Oktober an den Universitäten die Vorlesungszeit beginnt, wird die Zahl der Erstsemester wieder bei einer halben Million liegen, insgesamt rangiert die Studentenzahl bei gut 2,7 Millionen. Bei dieser akademischen Massenbildung muss das Studium zwangsläufig individuell werden. Einerseits ist eine Spreizung bei den Vorkenntnissen zu erwarten, wenn heute die Hälfte jedes Jahrgangs ein Studium aufnimmt; anderseits werden die Zugangswege offener, Studieren ohne Abitur für Berufspraktiker liegt im Trend. Womöglich ist die digitale Lehre auch eine willkommene Maßnahme, um der Raumnot in stark frequentierten Fächern Herr zu werden. Im Papier wird das so nicht erwähnt.
Eine bessere Betreuung, auch digital, könnte die hohe Zahl der Studienabbrecher senken
An vielen Hochschulen hat man schon begonnen, virtuelle Kurse aufzubauen und bei der Betreuung die jungen Leuten dort abzuholen, wo sie ohnehin sind - in der digitalen Welt; Studenten laden sich Schritt für Schritt Aufgaben herunter, die ihren aktuellen Fähigkeiten entsprechen. Mitunter werden Erstsemester mit Apps passgenau durchs Studium gelotst. Oft geschieht das mit Blick auf hohe Studienabbrecherzahlen, jeder dritte Bachelorstudent an Unis wirft hin - laut Abbrecher-Umfragen meist aus fachlicher Überforderung oder allmählich schwindender Motivation.
"Jede Hochschule sollte ihre eigene digitale Agenda entwickeln, um die Möglichkeiten der Digitalisierung auf ihr eigenes Profil zuzuschneiden", so Cornelia Quennet-Thielen, die Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium. Die Experten forderten die Politik zugleich auf, genug finanzielle Mittel bereitzustellen für diese "digitale Wende". Auch Änderungen beim Urheberrecht seien durchaus nötig.
Laut dem Papier auch wichtig: Marketing. Um Studenten für sich zu gewinnen, bieten Hochschulen heute auf allen denkbaren Kanälen Informationen. Für Abiturienten auf Studienplatzsuche ist es üblich, in der künftigen Uni-Stadt zunächst virtuell, dann erst körperlich anwesend zu sein. Es gibt Social-Media-Schnitzeljagden auf dem Campus, ältere Studenten beantworten im Chat Fragen. Das Papier betont zudem weltweites Marketing. Deutschlands Hochschulen werden internationaler, gut jeder zehnte Student stammt aus dem Ausland, zeigen jüngste Daten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Anteilig am meisten vertreten: Chinesen. Die TU München etwa hat eine Präsenz im chinesischen Facebook.