"Heimattreue Deutsche Jugend":"In der HDJ steckt viel NPD"

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Wie die "Heimattreue Deutsche Jugend" Kinder zu Neonazis drillte und warum das nun erfolgte Verbot dringend nötig war, erklärt die Szene-Kennerin Andrea Röpke.

Oliver Das Gupta

Andrea Röpke, Jahrgang 1965, ist Politologin, Journalistin und Autorin. Ihre Recherchen zum Thema Rechtsextremismus verarbeitete sie in Büchern, TV-Reportagen und Essays. Röpke erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Otto-Brenner-Preis. Mit der nun verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" beschäftigt sich die Szene-Kennerin schon seit Jahren.

Ein Zeltlager unter Beteiligung der "Heimattreuen Deutschen Jugend" im August 2006 nahe der nordrhein-westfälischen Ortschaft Fromhausen bei Detmold. Das Zelt im Hintergrund trägt den Namen "Führerbunker" (Foto: Foto: recherche-nord)

sueddeutsche.de: Frau Röpke, die rechtsextremistische "Heimattreue Deutsche Jugend" - kurz HDJ - besteht schon seit Jahren. Warum kam das Verbot erst jetzt?

Andrea Röpke: Es ist sehr spät erkannt worden, dass es sich um eine umfassende Kindererziehung der Neonazis handelt, bundesweit organisiert und brandgefährlich. Das lag daran, dass die HDJ im Verborgenen nationalsozialistisch agiert hat. Es wurde auch erst nach und nach klar, dass die HDJ sich anschickte, den kompletten Nachwuchs der deutschen Rechtsextremisten zu erfassen. Das wurde eigentlich erst durch Recherchen und Veröffentlichungen bekannt. Die Behörden haben sich offen gesagt auch etwas gesträubt. Seit den Razzien im Oktober 2008 haben wir zwar mit einem Verbot gerechnet, aber bis dahin war es ein langer Weg.

sueddeutsche.de: Das Verbot ist also kein Polit-Aktionismus im Wahljahr?

Röpke: Nein, das ist öffentlicher Druck. Innenminister Wolfgang Schäuble musste reagieren. Durch Bildmaterial wurde belegt, dass die HDJ Kinder und Jugendliche gedrillt und indoktriniert hat zu Neonazis.

sueddeutsche.de: Aus welchen Schichten kamen die Kinder, die sich in den Drill-Lagern der HDJ tummelten?

Röpke: Die Kinder und Jugendlichen stammten aus überzeugten Neonazi-Familien, die auffallend oft zur Mittelschicht zählen. Da sind viele Unternehmer dabei, auch Akademiker. Man legt sehr viel Wert auf Bildung, auch wenn man das bundesrepublikanische Bildungsmonopol strikt ablehnt.

sueddeutsche.de: Die HDJ wollte laut Eigenauskunft eine "saubere Jugend formen". Wie haben die Neonazis diesen Plan umgesetzt?

Röpke: Wir haben in Deutschland einen harten Kern von etwa 10.000 Neonazis. Viele von ihnen gründen Familien. Deren Nachwuchs ist die Zielgruppe der HDJ: Ab sieben Jahren wird er angesprochen. Die Philosophie dahinter ist das Lebensbund-Prinzip der Nazis: Kindereltern, Großeltern, die ganze Familie - alle müssen in die Gesinnungsgemeinschaft eingebunden werden. Das heißt: Kinder und Jugendliche wurden sehr früh politisiert, nach der Schule oder dem Feierabend, am Wochenende, in den Ferien. Diesen Kindern ist kaum Freiheit gelassen worden für Individualismus. Stattdessen wurden sie Teil einer nationalsozialistischen Volksgemeinschaft.

sueddeutsche.de: Was war das Ziel der HDJ?

Röpke: Die Kinder sollten zu politischen Soldaten gemacht werden, sie sollten hart wie Krupp-Stahl werden. Schon 14-Jährige wurden genötigt, Mut- und Messerproben zu machen - und anschließend die Jüngeren zu führen. Die HDJ lehrte die Verachtung der Demokratie. SS-Leute und Wehrmachts-Größen wurden heroisiert, die Kinder lernten auch, an Gräbern ehemaliger Nazis strammzustehen. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Sogar einschlägige Kreuzworträtsel wurden dem Nachwuchs gegeben. Unter anderem wurde nach dem Reichskanzler des letzten Deutschen Reichs gefragt.

sueddeutsche.de: Zum Schulungspersonal der HDJ zählten auffallend viele NPD-Mitglieder. Wie viel NPD steckte in der HDJ?

Röpke: Sehr viel. Die HDJ war sicherlich keine unabhängige Organisation, wenngleich auch keine Unterorganisation. Namhafte Funktionäre von Kameradschaften und NPD haben in der HDJ die Erziehung übernommen. Die Homepage der HDJ lief über die NPD-Fraktion im Schweriner Landtag, in Mecklenburg-Vorpommern gehören auch die Landtagsabgeordneten Tino Müller und Stefan Köster zu den Erziehern der HDJ. Mit ihren Familien tauchen sie gänzlich in diese rassistische Welt ab.

sueddeutsche.de: Hilft das Verbot der Drill-Truppe auch auf dem Weg eines neuen NPD-Verbotsverfahrens?

Röpke: Ich bin keine Juristin, aber ich denke, dass angesichts der personellen Verquickung die Causa HDJ durchaus Argumente für ein neues Verfahren liefern könnte. Aber ernsthaft können wir erst darüber sprechen, wenn die V-Mann-Frage geklärt ist.

sueddeutsche.de: Die HDJ mag aufgelöst sein, nicht aber die Nazi-Ideologie in den Hirnen ihrer Mitglieder. Bringen solche Verbote überhaupt etwas?

Röpke: Im Fall der "Heimattreuen Deutschen Jugend" ist ein Verbot unerlässlich gewesen. Die HDJ-Kinder sind die Neonazis von morgen. Je länger wir dulden, dass diese Kinder gedrillt werden, umso gefährlicher werden sie für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Außerdem ist Legalität immer ein Schutz - und ein Vorwand für Untätigkeit: Immer wieder kam es vor, dass Herbergseltern und Zeltplatzbetreiber an die HDJ vermietet haben. Ihre Begründung: Diese Organisation ist schließlich nicht verboten.

sueddeutsche.de: Das Personal der HDJ wird sich unter einem neuen Namen sammeln.

Röpke: Ja, wir sollten uns nichts vormachen: Diese Menschen sind fanatisch und sie werden weitermachen. Aber wir können etwas dagegen tun, schließlich geht das uns alle an. Wir als Gesellschaft müssen Augen und Ohren offen halten. Wir dürfen eine solche menschenverachtende nationalsozialistische Gruppe in der Bundesrepublik nicht dulden.

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