Hartz-IV-Debatte:Kontra Kraft

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Wer Arbeitslosen helfen will, sollte den öffentlichen Dienst ausbauen oder die Unternehmen zahlen lassen - findet Erwerbslosensprecher Martin Behrsing.

Corinna Nohn

Hannelore Kraft erntet für ihre Idee, einen gemeinwohlorientierten Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose aufzubauen, herbe Kritik.

"Frau Kraft stößt in das gleiche Horn wie die Herren Westerwelle und Koch - einziger Unterschied, dass sie noch auf Freiwilligkeit setzt", sagte Martin Behrsing, Geschäftsführer der Initiative Erwerbslosen Forum Deutschland, im Gespräch mit sueddeutsche.de.

Kraft, stellvertretende Bundesvorsitzende und NRW-Landeschefin der SPD, hatte dem Spiegel mit Blick auf Langzeitarbeitslose gesagt: "Diese Menschen können zum Beispiel in Altenheimen Senioren Bücher vorlesen, in Sportvereinen helfen oder Straßen sauberhalten." Die Tätigkeit sollte auf freiwilliger Basis und gegen einen symbolischen Aufschlag auf die Hartz-IV-Sätze erfolgen.

"Ich bin empört, wenn Frau Kraft davon spricht, Langzeitarbeitslosen durch Vorlesen in Altenheimen Würde und eine Perspektive zu geben", sagt Erwerbslosensprecher Behrsing. Man müsse diesen Menschen genug Geld zur Verfügung stellen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können - unabhängig von gemeinnütziger Tätigkeit. Behrsing findet: "Wir brauchen keine weiteren Ein- oder Zwei-Euro-Jobs."

Schon jetzt fielen durch Ein-Euro-Jobs viele reguläre Arbeitsplätze weg, "und zwar insbesondere bei Sozialverbänden oder in Kommunen". Seiner Meinung nach solle man den öffentlichen Dienst ausbauen und dort schwer Vermittelbare regulär beschäftigen. Dieser kostspielige Vorschlag ist angesichts leerer Gemeindekassen aber wohl nur ein Wunschtraum.

"Sozialpädagogikstudium wird überflüssig"

Laut Behrsing sei in Berlin sogar die Leitung der Schuldnerberatung einmal als Ein-Euro-Job ausgeschrieben worden, "gesucht wurde jemand mit abgeschlossener Hochschulausbildung". Wenn man diese Praxis ausdehne, "brauchen wir am Ende keine Ausbildung mehr in der Altenpflege, von Erzieherinnen, auch das Sozialpädagogikstudium kann man dann abschaffen", klagt Behrsing.

Derweil legte Kraft am Montagmorgen im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk nach: Es müsse darum gehen, dass diejenigen, die arbeiten wollen, sich einbringen können. Sie denke an Hartz-IV-Empfänger, die "mehrfache Vermittlungshemmnisse haben, wo man davon ausgehen kann, dass sie keinen regulären Arbeitsplatz mehr finden". Denen müsse man öffentlich finanziert und auf Dauer die Chance geben zu arbeiten.

"Jetzt sind die Unternehmen dran"

Kraft habe auch davon gesprochen, dass Arbeitslose mit gemeinnütziger Arbeit der Gesellschaft etwas zurückgeben könnten, sagt Behrsing: "Da sind jetzt andere dran, zurückzugeben", hält er dagegen: "die Wirtschaft, die Unternehmen, die in den letzten Jahren massiv entlastet worden sind und die Leute trotzdem in die Arbeitslosigkeit getrieben haben."

Behrsing hält auch das Argument für haltlos, Langzeitarbeitslose hätten auf einem gemeinwohlorientierten Arbeitsmarkt wieder eine Aufgabe: "Wer sich in der Gesellschaft engagieren möchte, kann das auch jetzt schon tun - und die Bereitschaft ist da." Es sei momentan nicht das vordringliche Problem, dass sich Menschen nutzlos vorkommen, "sondern dass sie auf Grund der geringen Hartz-IV-Sätze isoliert sind und nicht die Möglichkeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen".

Schließlich sei er "entsetzt", sagte Behrsing, dass der Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider, Krafts Vorstoß gegen Kritik verteidigt hatte. "Wir brauchen die Diskussion über einen dritten kommunalen Arbeitsmarkt für Menschen, die so viele Handicaps haben, dass sie in reguläre Beschäftigung nicht zu vermitteln sind", hatte Schneider der Essener WAZ-Mediengruppe gesagt. "Das ist ein Affront gegen Erwerbslose", urteilt Behrsing.

"Nicht jeder Bereich für Langzeitarbeitslose geeignet"

Mittlerweile distanziert sich der DGB von dieser Aussage. DGB-Vorstand Annelie Buntenbach sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, unbezahlte gemeinnützige Arbeit sei "kein Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit". Nötig sei ein staatlich geförderter zweiter Arbeitsmarkt mit angemessener Bezahlung. Von unbezahlten Tätigkeiten und Ein-Euro-Jobs gehe die Gefahr aus, dass sie reguläre Arbeitsplätze vernichten. "Deshalb muss Hannelore Kraft klarstellen, wohin die Reise gehen soll", forderte Buntenbach

Auch Vertreter von Sozialverbänden kritisierten Krafts Ideenspiele. Der Vorstoß der 48-Jährigen sei "missverständlich", sagte etwa die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, der Frankfurter Rundschau. Es gebe bereits heute eine beachtliche Zahl von gemeinnützigen Jobs in Kommunen oder bei Wohlfahrtsverbänden. Es sei auch nicht jeder Bereich sozialer Arbeit für Langzeitarbeitslose geeignet. "Pflegeheime sind es ganz sicher nicht. Schwer- und schwerstpflegebedürftige Menschen brauchen Pflegekräfte mit hohem fachlichen und persönlichen Qualifikationen", sagte die VdK-Chefin.

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