Hannelore Kraft:Die Trümmerfrau der SPD

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Eine Reise durch die SPD: Hannelore Kraft kam in die Partei, "um mal mitzumachen". Wegen der vielen Rücktritte konnte sie schnell aufsteigen - jetzt ist sie ganz oben.

Bernd Dörries

Eigentlich ist an diesem Abend schon alles vorbei. Hannelore Kraft steht auf der Bühne des Juso-Bundeskongresses in Essen, sie hat gerade eine Rede ohne Eigenschaften gehalten und einen Blumenstrauß in der Hand. Das Protokoll solcher Veranstaltungen sieht nun eigentlich den geordneten Abgang unter anhaltendem Applaus vor. Hannelore Kraft nimmt aber noch einmal das Mikrofon und erzählt von den Sondierungsgesprächen: "Ich bin es normalerweise gewohnt, in Szenarien zu denken, zum Ende hin und wieder zurück. Das ging aber nicht, weil sich die Verhältnisse jeden Tag geändert haben."

 "Ich bin in die Partei gegangen, um mal mitzumachen", sagt Hannelore Kraft -  kommende Woche wird sie wahrscheinlich Ministerpräsidentin. (Foto: dpa)

Die letzten Kraft-Worte gehen ein wenig unter in der Begeisterung der jungen Sozialisten - sie sind aber wohl die offensten, die man von ihr in den vergangenen Wochen gehört hat. Es waren Wochen, in denen Kraft mit allen Parteien über die Macht in Nordrhein-Westfalen gesprochen hat. Sie hat ausgeschlossen, geprüft und verworfen. Sie hat sondiert und taktiert. Am Anfang hat sie viel Lob bekommen für ihre klare Art. Zum Schluss schien es aber so zu sein, als habe sich Kraft in einen Dschungel hineinsondiert, in dem sie nur noch Gefahren sah und keine Chancen mehr. Sie wollte erst Regierung aus der Opposition machen - und einen Tag später dann doch als Opposition regieren.

Im Wahlkampf wurde Kraft oft als authentisch beschrieben. Davon ist in diesen Wochen nicht mehr viel geblieben, außer der Art wie sie Dinge sagt, mit ihrer schnoddrigen Ruhrgebiets-Schnauze. Viele Sätze könnten mit "Ich sach mal" beginnen. Man darf das aber nicht mit Offenheit verwechseln.

Essen ist Krafts erster Auftritt vor der Partei nach ihrer Entscheidung, es doch zu probieren mit einer Minderheitsregierung. Sie erzählt den Jusos, dass sie es in ihrem Beruf als Unternehmensberaterin gewohnt war, Dinge kühl zu analysieren, ein Ziel zu haben und dann den Weg dahin zu gehen. Und so dachten viele, Kraft wolle es auch in der Politik so machen, habe nach dem Patt bei der Landtagswahl einen geheimen Plan, der sie zu Neuwahlen führe oder in eine große Koalition. Die ganze Sondiererei sei also nur Folklore.

Aber letztlich stimmte eben doch, was Kraft immer wieder sagte: "Ich schaue Tag für Tag, was möglich ist." Nur hat ihr niemand zugehört. Der geheime Plan klang einfach besser. Letztlich kann Politik aber auch ganz banal sei. Manchmal ist einfach nicht mehr dahinter.

"Wenn man springen muss, dann muss man springen"

Nach dem plötzlichen Schwenk zur Minderheitsregierung kamen natürlich die Vergleiche mit Andrea Ypsilanti, die etwas ausschloss, um es dann doch zu versuchen. Andere stellten sich die Frage, wie sehr Kraft aus dem Willy-Brandt- Haus gesteuert wird, von Parteichef Sigmar Gabriel. Kraftilanti oder Gabrielanti? So wurde das zusammengefasst. Hannelore Kraft sitzt jetzt in ihrem Büro und macht einen etwas unzufriedenen Eindruck - wobei der Grund im Unklaren bleibt, die Fragen sind noch ganz harmlos. Die 49-Jährige fixiert die riesigen Zimmerpflanzen auf dem Fensterbrett und sagt zu ihrem Sprecher, er möge doch den Porzellan-Elefanten mittig zwischen die beiden Töpfe stellen, das irritiere sie sonst.

"Wenn man springen muss, dann muss man springen", sagt Kraft. So als sei der Elefant in Wahrheit ein Tiger. Sie ist nun also gesprungen und will sich am 13. oder 14.Juli zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Kraft hat lange gezögert, hat sich das Schicksal von Heide Simonis immer wieder angeschaut - ebenso wie das von Ypsilanti. Beiden Frauen haben aus unterschiedlichen Gründen letztlich Stimmen der eigenen Partei gefehlt.

Das war auch Krafts große Angst, obwohl sie vielleicht schon im ersten Wahlgang, so gut wie sicher aber im zweiten Wahlgang, gewählt werden wird. Als misstrauisch haben sie manche in Düsseldorf erlebt in den vergangenen Wochen. Wenn man die Aufzeichnung des Gespräches mit ihr abhört, dann ist die Stimme viel herzlicher als der Gesichtsausdruck, den man dazu in Erinnerung hat.

Hannelore Kraft
:Bewerten Sie die neue Ministerpräsidentin!

Nun wird sie vermutlich Ministerpräsidentin mit einer Minderheitsregierung. Schafft sie das? Bewerten Sie Hannelore Kraft!

Kraft war wohl so zögerlich, weil ihr Blick lange gar nicht zur Macht hinauf ging, der 11.Stock in der Staatskanzlei gar nicht ihr Ziel war. "Für mich war dat überhaupt nich aufm Schirm." Das sagen alle in der Politik, Kraft glaubt man es aber noch am ehesten. Sie schaute immer in die Partei hinein, runter auf die Basis. "Wenn man überlegt, wie wir in die Situation gekommen sind, mit dem Tiefpunkt bei der Bundestagswahl 2005, dann hat das was mit verlorenem Vertrauen zu tun." Das ist keine revolutionäre Erkenntnis, aber kaum jemand hat sie so zum Mittelpunkt seines politischen Handelns gemacht wie Hannelore Kraft.

Letztlich ist das auch Krafts wichtigster politischer Inhalt: Glaubwürdigkeit. Sie hat das immer wieder beschrieben in ihren einfachen Bildern. Die neue Glaubwürdigkeit bei der Basis hat sie ein zartes Pflänzchen genannt, das es zu pflegen gilt. Und sie dachte wohl tatsächlich, dass es zertrampelt werden könne, wie von einem Elefanten. Vor allem, wenn sie den Eindruck vermitteln würde, es ginge ihr nur um die Macht. Am Ende trat dann genau das Gegenteil ein: Kraft sah so aus, als fürchte sie sich vor der Macht. Sie musste ein wenig geschubst werden, von den Grünen und der eigenen Partei.

"Ich bin in die Partei gegangen, um mal mitzumachen"

Nationen haben Gründungsmythen für sich geschaffen, die oft wenig mit der Realität zu tun haben. Die aber wichtig sind, weil sie von den reinen Machtfragen ablenken und der ganzen Idee etwas Romantisches geben, oder zumindest etwas Zwingendes. Auch Kraft suchte nach einem Gründungsmythos, weil sie glaubte, eine Minderheitsregierung bedürfe einer speziellen Rechtfertigung. Letztlich blieb nur ein Zeitungsinterview, in dem der FDP-Landeschef den Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb für abgearbeitet erklärte - eigentlich eine parlamentarische Selbstverständlichkeit am Ende der Legislatur. Kraft machte daraus eine Verfassungsnotlage, die sie quasi zur Macht zwinge.

Vielleicht konnte sie sich selbst nur schwer an die Vorstellung gewöhnen, dieses Bundesland zu regieren - und es war ja auch lange ein abwegiger Gedanke, dass Kraft einmal Ministerpräsidentin werden würde. "Ich bin in die Partei gegangen, um mal mitzumachen", sagt sie. Kraft hat damals in ihrer Heimatstadt Mülheim einen Kindergartenplatz gesucht, aber keinen gefunden. Das war der Anfang. Sie trat 1994 in die Partei ein, der es schon damals schlecht ging. Die guten Zeiten hat sie kaum erlebt. Nur die Leute haben immer von früher geredet.

Im Jahr 2000 kandidiert Kraft für den Landtag. "Damals hat mir niemand eine Chance gegeben. Ich mir auch nicht, ich habe aber gedacht, ich mach es mal, gebe mein Bestes." Damals ist sie gegen die alten Leute aus der Partei angetreten und wusste, dass sie anders rangehen musste an die Wähler. In ihren Reden hat sie immer das Bild vom Fahrkartenautomaten benutzt, dessen Tasten die verschiedenen Ideen und Inhalte zeigen sollten, die sie vertritt. "Stellt euch vor, ich steh in Mülheim am Fahrkartenautomat und will nach Düsseldorf, einfache Fahrt und nicht zurück", sagte sie damals.

Heute hat dieses Bild natürlich eine ganz andere Bedeutung. Die eines ziemlich schnellen Aufstieges, von Mülheim an der Ruhr bis ins Amt der Ministerpräsidentin. Bisher ist es eine einfache Fahrt. Vielleicht ist sie sich deshalb auch manchmal noch unsicher, wie die Partei reagiert, die gerade wieder vom Boden hochgekommen ist, sich aber noch sehr zerbrechlich auf den Beinen hält.

Seiteneinsteigerin und dann noch Frau

Kraft hat sich ja selbst lange nicht als Parteimensch gesehen: "Ich war eine Seiteneinsteigerin. Und dann noch Frau." Sie war nur ein Jahr im Landtag und wurde schon Europaministerin. Letztlich ging es dann immer so weiter: Wissenschaftsministerin, Fraktionschefin, Parteivorsitzende. Irgendwo verlor gerade immer jemand in dieser taumelnden Partei. Hannelore Kraft ist eine sozialdemokratische Trümmerfrau. Sie hat als Fraktionschefin eine Reise in die Partei angetreten. Sie führte durch viele verrauchte Hinterzimmer. Kraft und die Partei haben zueinandergefunden. Wenn sie heute über ihr Verhältnis zur SPD erzählt, dann hat das etwas Münteferingisch-Religiöses. Als sie zu einem Duell mit Jürgen Rüttgers musste, in einer großen Halle, da habe es ihr fast die Beine weggezogen, so nervös sei sie gewesen, sagt sie. Aber: "Die Partei hat mich getragen. Das war ein schönes Gefühl."

Es ist Freitag im Landtag, Joachim Gauck stellt sich der Landtagsfraktion vor und bekommt von Kraft eine Johannes-Rau-Biographie. Am Abend kriegt auch Franziska Drohsel eine, die scheidende Juso-Vorsitzende. Es sieht so aus, als gingen da im Jahr einige Paletten weg.

Nein, sagt Kraft, es seien nur ein knappes Dutzend Biographien. Es kriegt also nicht jeder ein Buch über den, den Kraft einen begnadeten Menschenfänger nennt, dessen Leichtigkeit sie bewundere. Kraft ist noch keine Menschenfängerin, sie hat die Partei nach langem freien Fall aufgefangen. Es war sonst kaum jemand da.

© SZ vom 05.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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