Die Aula des Gymnasiums Dörpsweg in Hamburg-Eidelstedt liegt im Lichte einer freundlichen Farblosigkeit, und die Leute im Publikum schauen mit ungeteilter Aufmerksamkeit in sie hinein. Auf dem Podium steht Olaf Scholz, der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, bei einem seiner sogenannten Bürgergespräche. Sein Anzug ist grau. Die Stellwand hinter ihm ist auch grau. Und seine Rede plätschert dahin wie ein Feng-Shui-Bächlein, beruhigend, harmonisch.
Scholz spricht über Arbeitsmarktpolitik, Bildungschancen, Flüchtlinge. Manchmal streut er ein, dass seine Regierung etwas "ganz gut hingekriegt" oder "eine ganz gute Entscheidung" getroffen habe. Mit der Macht seiner Ruhe zähmt er die Aufregung eines Mannes, der im geplanten Freihandelsabkommen Europas mit Kanada einen Fluch sieht ("Da sind wir anderer Meinung").
Und am Schluss stellt Olaf Scholz zufrieden fest, dass er die Veranstaltung pünktlich um neun beenden kann. "Wie ich es vorher angekündigt habe." Dann sagt er noch: "Gehen Sie am 15. Februar wählen. Und wenn Sie noch einen Tipp brauchen: Ich habe einen."
Wahlkampf mit Olaf Scholz. Das ist so, als gäbe es gar keinen Wahlkampf, denn der Bürgermeister Scholz macht in diesen Tagen des Stimmenfangs nie den Eindruck, als kämpfe er um irgendwas. Andere Wahlkämpfer inszenieren ihre Hingabe, bis ihnen der Schweiß von der Stirn perlt. Sie schwingen geballte Fäuste, wenn sie ihre Reden brüllen, sie wirken wie Boxer, die jede Stimme einzeln aus dem Volk rausprügeln wollen. Scholz hingegen steht nur da und redet. Zählt die Erfolge seiner Amtszeit auf. Spricht über die Aufgaben der Zukunft. Setzt allenfalls mal eine Spitze gegen jene, deren Irrtümer er begradigt habe. Dann geht er, und man fragt sich: War da wer? Wer war da? Warum hatte das Kraft, was dieser leise, kantenlose, eher klein gewachsene Mensch mit seiner dünnen Stimme in den Raum gesetzt hat?
Scholz hat zu wenige Fehler gemacht, als dass die Opposition ihn zu fassen bekäme
Es heißt, Olaf Scholz, 56, habe kein Charisma. Das stimmt, wenn Charisma für eine Ausstrahlung steht, die aus jeder Regung ein Spektakel macht. Aber ganz richtig ist es auch nicht, denn diese Sachlichkeit des Olaf Scholz kommt keineswegs ohne Witz daher. Sie ist der Ausdruck einer Souveränität, die keiner auf die leichte Schulter nehmen kann. Eine schillernde Blässe geht von Olaf Scholz aus, eine natürliche Autorität und Geistesschärfe, mit der man bestimmt keinen Fernsehpreis gewinnt. Sehr wohl aber Machtkämpfe in der Politik und Wahlen in Hamburg.
Scholz wird Bürgermeister bleiben. Die jüngste Umfrage im Auftrag des NDR sah seine SPD mal wieder bei 44 Prozent Zustimmung. Die absolute Mehrheit wäre damit verloren, aber die erreichte Scholz 2011 ja auch in einer Art Notfall-Wahl, nachdem die schwarz-grüne Koalition zerbrochen war und Chaos herrschte im Rathaus. Scholz weiß die hohen Werte zu schätzen. "Ausdrücklich", sagt er, "dass ich beeindruckt und auch persönlich berührt bin, dass die SPD und ich so lange über so einen langen Zeitraum und so oft derart hohe Umfragewerte haben". Vergeblich rüttelt die Opposition an seinem Thron. Scholz hat zu wenige Fehler gemacht, als dass sie ihn zu fassen bekäme.
Und Hamburgs Wirtschaft ist derart begeistert davon, wie Scholz die Senatspolitik wieder auf Linie gebracht hat, dass einige Gewerbe-Vertreter richtig Werbung machen für eine weitere SPD-Alleinregierung. CDU-Spitzenkandidat Dietrich Wersich nennt den Stil des Bürgermeisters gerne "autokratisch". Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, dagegen lobt die "Dialogbereitschaft" von Scholz: "Herr Scholz hört zu, verliert keine unnötigen Worte und setzt um."