Hambacher Forst:Abschied von einem Freund

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Steffen M. war in der Gemeinschaft im Wald verwurzelt, die Trauer um den jungen Blogger ist groß. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Die Umweltaktivisten im Hambacher Forst trauern um den tödlich verunglückten Blogger. NRW-Innenminister Reul fordert die verbliebenen Waldbesetzer auf, ihre Baumhäuser zu verlassen.

Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Seinen letzten Tweet setzt Steffen M. am Mittwoch um 16.32 Uhr ab. Er schreibt "Polizei Richtung Mensch und Traverse", dazu postet er ein elfsekündiges Video. Zu sehen sind Polizisten auf einer roten Hebebühne, die an einen Aktivisten im Baum heranfahren. M. filmt die Szene aus einiger Entfernung von einem anderen Baumhaus. Wenige Minuten später bricht der 27-jährige Blogger aus Leverkusen im Hambacher Wald durch eine Hängebrücke und stürzt mehr als 15 Meter in die Tiefe. Rettungskräfte und Polizisten versuchen ihn wiederzubeleben - doch M. stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus.

M. begleitete die Waldbesetzer seit längerem, wird von vielen Aktivisten als "unser Freund" bezeichnet, kannte sich in den Baumhausdörfern gut aus. Auch in "Beechtown", wo die Behörden seit dem frühen Mittwochmorgen geräumt hatten. Das Besondere an "Beechtown": Die Baumhäuser waren nicht durch Kletterseile oder Strick-Traversen miteinander verbunden, sondern durch hölzerne Pfade. Die dienten auch als Schwingungsdämpfer für die Bäume. M. habe sich allein und ungesichert auf der vorab beschädigten Hängebrücke befunden, hieß es von Seiten der Staatsanwaltschaft Aachen. Bevor er die Seilsicherung hätte einhängen können, habe das Trittholz unter ihm nachgegeben. "Es sieht nach einem Unglücksfall ohne Fremdverschulden aus", sagte Aachens Oberstaatsanwältin.

"Steffen war ein erfahrener Kletterer, er wusste, was er tat", sagt eine Kollegin

Auf Twitter war der junge Mann mit den rötlichen Haaren seit Anfang September aktiv, dort beschrieb er sich als "Regisseur/Künstler/Journalist". Die freie Journalistin Bärbel Schnell berichtet seit Anfang des Jahres über die Geschehnisse im Hambacher Wald, sie kannte Steffen M. Am Tag nach dessen Absturz ist Schnell wieder im Wald unterwegs. "Die Trauer unter den Aktivisten ist sehr groß, Steffen hat die Leute hier sehr intensiv begleitet." Er habe kurz vor der Räumung auch in den Baumhäusern übernachtet, sei in der Gemeinschaft verwurzelt gewesen. "Steffen war ein erfahrener Kletterer, er wusste, was er tat", sagt Schnell. Er habe eine Dokumentation drehen wollen, um die Öffentlichkeit teilhaben zu lassen an der Räumung des Waldstücks. Die Waldbesetzer protestieren gegen das Vorhaben des Energiekonzerns RWE, weite Teile des Hambacher Forstes zur Braunkohle-Gewinnung abzuholzen.

M. war Teil eines Netzwerks, das sich "Presse Netz" nennt und auf Twitter und Youtube über Proteste und Polizeieinsätze berichtet. Es gibt auf Twitter ein Video, dort sieht man ihn mit Helm und Kletterausrüstung auf einem Baumhaus stehen. Die Aufnahme entstand am Tag vor seinem Absturz. Darin sagt Steffen M. : "Nachdem die Presse in den letzten Tagen im Hambacher Forst oft in ihrer Arbeit eingeschränkt wurde, bin ich nun in 25 Metern Höhe auf Beechtown, um die Räumungsarbeiten zu dokumentieren. Hier oben ist kein Absperrband."

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) teilte 90 Minuten nach dem tödlichen Sturz mit, dass die Räumung des Waldes "bis auf Weiteres" gestoppt werde. Da waren 39 von 51 Baumhäusern geräumt. Wann und wie weiter geräumt wird, werde "in aller Ruhe überlegt", sagte Reul. Das hänge auch davon ab, "wie alle Beteiligten sich verhalten". Im Radiosender WDR2 forderte er am nächsten Tag die Besetzer auf, ihre Baumhäuser zu verlassen und während des Stopps keine neuen zu bauen. Die NRW-Grünen-Fraktion hatte noch am Abend ihren Antrag zum Hambacher Wald zurückgezogen und im Konsens mit allen Parteien auf eine Debatte im Landtag verzichtet. Aktivisten übergaben am Donnerstagmorgen mehr als eine halbe Million Unterschriften zum Erhalt des Waldes an die Landesregierung. Die Düsseldorfer Arbeitsbühnen-Firma Gerken zog ihre roten Hebebühnen aus dem Wald zurück und nimmt nach eigener Aussage dafür hohe Regresszahlungen in Kauf. "Wir halten den Einsatz in der Form für nicht weiter tragbar", heißt es in einer Erklärung.

Eine Szenerie mit Steffen M. ist Bärbel Schnell besonders im Gedächtnis geblieben, es war bei der Räumung des Wiesencamps durch die Polizei: "Steffen stand auf einem Lkw, die GoPro auf dem Kopf, eine zweite Kamera in der Hand und stützte mit der anderen Hand eine Aktivistin, die gerade einen Wasserkanister hochzog. So war Steffen." Verstand er sich als Journalist oder als Aktivist? Schnell hatte ihm diese Frage vor einiger Zeit gestellt und erinnert sich noch gut an seine Antwort: "So ein bisschen von beidem", habe er gesagt.

© SZ vom 21.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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