Halle-Prozess:Fürsorgliche Richter

Lesezeit: 1 min

Der Angeklagte Stephan B. am Tag der Urteilsverkündung. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Wie das Oberlandesgericht Naumburg einem Angeklagten half.

Von Detlef Esslinger, München

Am Montag sprach das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg sein Urteil gegen den Attentäter von Halle; am Dienstag hielt die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke. Urteil hier und Forderung dort waren identisch: Lebenslang, Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, Sicherungsverwahrung. Macht diese Koppelung Sinn?

Die Frage drängt sich auf, weil das Strafrecht Bedingungen setzt, unter denen zu "Lebenslang" Verurteilte wieder frei kommen können - und Voraussetzungen, unter denen ihnen nach der Haft die Sicherungsverwahrung droht. "Lebenslang" heißt, mindestens 15 Jahre verbüßen zu müssen. Wurde zudem die "besondere Schwere der Schuld" festgestellt, muss man meist sogar deutlich länger als 20 Jahre in Haft gewesen sein, bevor eine Strafvollstreckungskammer den Fall prüft. Paragraf 454 der Strafprozessordnung verlangt die Abklärung, "ob die Gefährlichkeit fortbesteht". Zugleich indes sieht Paragraf 66 des Strafgesetzbuches eine Sicherungsverwahrung nur vor, falls das Gericht jemanden für gefährlich "infolge eines Hanges" zu Straftaten erklärt.

Mit anderen Worten: Wer weiterhin als gefährlich gilt, wird nicht freikommen. Wenn einer aber inzwischen für ungefährlich gehalten wird, wozu dann noch die Verwahrung?

Anspruch auf besondere Betreuung und Therapie

Armin Engländer, Professor für Strafrecht an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, weist auf das Revisionsrecht hin. Ein Gericht könne vorbauen für den Fall, dass der Bundesgerichtshof (BGH) das "Lebenslang" aufhebt - "die Anordnung der Sicherungsverwahrung bewirkt dann, dass der Täter nach Verbüßung der Strafe trotzdem in Haft bleibt". Ein weiterer Grund: Entschließe sich eine Strafvollstreckungskammer dereinst, den Verurteilten freizulassen, erlaube diese Anordnung eine engere und längere Überwachung als ein Urteil ohne sie.

Einen weiteren Grund nannte 2017 der BGH, als er über einen Kindermörder befand. Die Richter wiesen darauf hin, dass Sicherungsverwahrte Anspruch auf besondere Betreuung und Therapie haben. Indem man bei einem Lebenslangen auch die Sicherungsverwahrung anordne, nehme dieser sogleich "an der privilegierten Ausgestaltung des Strafvollzugs" teil. Was zunächst wie eine Mehrfach-Sanktion aussehe, stelle den Verurteilten in Wahrheit sogar "besser", schrieben die Richter. Was im Grunde heißt, dass der Mörder von Halle sich beim OLG bedanken kann.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: