Halbstündige Rede:Aus dem Lehrbuch der Kanzlerin

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Angela Merkel zieht eine große Fangemeinde an. Sie wirbt für eine Reform internationaler Institutionen.

Von Bastian Brinkmann

Angela Merkel kann sich über das Kilogramm freuen. Denn es ist neu. Wie schwer ein Kilogramm wirklich ist, bestimmt nun nicht mehr das Urkilogramm in Paris, sondern eine physikalische Definition. Das interessiert die Physikerin Merkel - der Bundeskanzlerin Merkel dient die Gewichtsreform als Beispiel dafür, dass internationale Zusammenarbeit die Welt besser machen kann. "Wir werden immer ein ordentlich definiertes Kilogramm haben", erklärt Merkel zufrieden auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Der Saal, in dem Merkel spricht, ist voll. Es gab nur deshalb keine Schlange vor der großen Kongresshalle, weil die Veranstalter die Türen früh geöffnet hatten.

Merkel ist auf der Elitenkonferenz in der Schweiz nicht irgendein weiterer Regierungschef, der eine Rede halten darf. Sie ist ein Star. Sowohl für die Top-Manager als auch für die Nichtregierungsvertreter ist sie wandelndes Symbol für gute, beständige Politik in Zeiten der Rambo-Politiker. Lob für Merkel hört man in Davos vom indischen Softwaremanager, der sich Sorgen macht, was nach ihr kommt. Oder vom israelischen Unternehmer, der sich freut, sie einmal live zu erleben.

Merkel-Fans aus aller Welt setzen sich Kopfhörer auf, um über Dolmetscher zuzuhören. Sie hören eine halbstündige Werberede für eine globale Politik der Kompromisse. Das Fachwort, das Merkel alle paar Sätze fallen lässt, lautet Multilateralismus. Die internationale Kooperation ist für Merkel eine Erfolgsgeschichte, auch wenn die asiatischen Länder in den Institutionen nicht ausreichend vertreten seien, weil sie in der Regel nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden. Sie ruft dazu auf, die internationalen Gesprächsformate zu modernisieren, statt sie zu schwächen: "Es gibt viele, die willens sind, die multilaterale Ordnung zu stärken." Das geht natürlich gegen US-Präsident Donald Trump und seine Nachahmer in anderen Ländern.

Als Bruder Merkels im Geiste gibt sich hingegen Japans Premierminister Shinzō Abe. Er werde, verkündet er in Davos, Welthandel und Umweltschutz auf die Agenda des G-20-Gipfels im japanischen Osaka im kommenden Juni setzen. Dort treffen sich die Staats- und Regierungschefs der 20 größten Volkswirtschaften der Welt. Merkel lobt den Vorstoß.

Das Weltwirtschaftsforum in Davos ist kein offizieller Gipfel, es gibt kein Abschlusskommuniqué wie beim G-20-Gipfel. Auftritte in Davos können Regierungschefs wie Abe aber versuchen zu nutzen, um die öffentliche Debatte in ihrem Sinne voranzutreiben. Wenn das gelingt, ist Davos für einen Politiker nützlich - und Abe hat einen positiven Eindruck hinterlassen. Er feiert - auf Englisch - die eigene Wirtschaftspolitik. So viele Frauen wie nie hätten einen Job, die Löhne stiegen. "Als ich ins Amt kam, dachten viele, dass Japan dem Untergang geweiht ist", sagt Abe. "Doch jetzt ist der Defätismus besiegt!" Sein Reformoptimismus bekommt Szenenapplaus. Abe ernennt die Hoffnung zu einer Art neuem Rohstoff, der wichtig sei für das Wirtschaftswachstum. "Es ist möglich, eine hoffnungsgetriebene Wirtschaft zu schaffen", doziert er.

Und wichtig sind natürlich auch die Daten. Die Digitalisierung könnte die Kluft zwischen Arm und Reich überwinden. Der digitale Wandel sei so schnell, dass unbedingte Eile nötig sei. "Eine Verzögerung um ein Jahr bedeutet, dass wir Lichtjahre zurückfallen", sagt Abe und bemüht ein Sprachbild, das eigentlich nur im Weltraum gelten kann. Alles in seiner Rede ist ein bisschen hoch gegriffen, ein bisschen pathetisch, aber zupackend vorgetragen. Japans Premierminister streichelt mit wirtschaftlichen Reformversprechen die Unternehmerseele, deutet staatsmännisch die Welt und verkündet ein paar Neuigkeiten, damit sich das Publikum wichtig fühlt.

Die um ihr politisches Überleben kämpfende britische Premierministerin Theresa May ist dagegen Davos ferngeblieben. Sie wird quasi vertreten durch ein deckenhohes Werbeplakat, das die britische Regierung installieren ließ und das proklamiert: "Freihandel ist großartig." Dabei will das Land in wenigen Wochen die am weitesten entwickelte Freihandelszone der Welt verlassen, die Europäische Union. Schwächt es ein globales Forum wie in Davos, wenn nicht nur die britische Premierministerin, sondern auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und US-Präsident Trump absagen? Alle haben massive innenpolitische Probleme. Bei May hatten viele in Davos wohl ohnehin nicht mehr große Erwartungen. Vor zwei Jahren enttäuschte sie das Publikum, als sie Sätze vortrug, die sie zuvor schon in London fast wortgleich in eine Ansprache eingebaut hatte - die internationale Öffentlichkeit hat für die britische Premierministerin offenkundig keine Priorität, so blieb May in Erinnerung.

Bei Trump liegt die Sache etwas anders. Natürlich hätte er in Davos Zuschauer angezogen. Doch immerhin kam trotzdem ein Reality-Star, der zumindest einmal im Weißen Haus tätig war: Anthony Scaramucci reiste in die Schweiz, er hatte für wenige Tage Trumps Kommunikationsabteilung geleitet. In Davos lud Scaramucci, der jetzt wieder als Investor arbeitet, wenn er nicht bei "Promi-Big-Brother" auftritt, zu einem Weinempfang in eine Bar. Teilnehmer berichten, die Weine seien gut gewesen.

Merkels Auftritt endet, wie kaum anders zu erwarten, etwas nüchterner. Sie wird gefragt, ob sie noch mal als Amtsträgerin nach Davos komme, und nicht nur als Pensionärin. Da greift Merkel ihr Mikrofon, um lächelnd auf Merkel-Art nichts preiszugeben: "Jetzt haben Sie mich erst mal heute. Und man soll sich darüber freuen, was man hat."

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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