Haftentlassungen wegen US-Schuldenstreit:Frei sind sie billiger

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US-Präsident Obama muss in den nächsten Jahren Milliarden einsparen. Ökonomen befürchten erhebliche Auswirkungen auf die Konjunktur. (Foto: AP/dpa)

Weil es überall an Geld fehlt, hat die USA Hunderte Einwanderer völlig überraschend aus der Abschiebehaft entlassen. 70 Milliarden Dollar lassen sich die USA den Gefängnisbetrieb jährlich kosten. Gespart werden soll aber auch beim Militär und bei Sozialprogrammen.

Von Moritz Koch, New York

Auf einmal öffneten sich die Gefängnistore, sie konnten gehen. Hunderte Einwanderer, die von den US-Behörden verdächtigt wurden, illegal im Land zu sein, wurden völlig überraschend aus der Abschiebehaft entlassen. Sie sollen nun in Freiheit darauf warten, dass ein Gericht über ihr Schicksal entscheidet. Menschenrechtler, die seit Jahren gegen den drakonischen Umgang mit illegalen Einwanderern protestiert haben, zeigen sich begeistert. Doch für die private Gefängnisindustrie, die mit der Unterbringung der Immigranten Milliarden verdient, ist die Massenentlassung ein Schock. Etwa 160 Dollar hatte der Staat den Unternehmen pro Tag für jeden inhaftieren Einwanderer gezahlt. Damit ist nun Schluss.

Knastkonzerne wie die Corrections Corporation of America oder die Geo Group gehören zu den ersten Leidtragenden der Sparmaßnahmen, die in Washington so gut wie niemand will, die aber nicht verhindert werden können. Danach zumindest sieht es aus: Die Zeit, die dem Kongress für einen Kompromiss bleibt, ist fast schon abgelaufen.

Am Freitag beginnt das Regiment des Rotstifts. Ausgaben mit einem Volumen von 1,2 Billionen Dollar sollen in den kommenden neun Jahren aus dem Bundeshaushalt geschnitten werden. Gespart wird vor allem beim Militär und bei Sozialprogrammen. Auch Fluglotsen und Parkwächter, Lehrer und Lebensmittelkontrolleure sind betroffen. Die Regierung hat sich vorbereitet, so gut es geht. Das Pentagon hat seine Ausgaben schon vorsorglich gestutzt, die Einwanderungsbehörde ICE folgt diesem Beispiel nun. Dennoch hat der Sparzwang seinen Schrecken nicht verloren.

Absturz nicht aufgehalten aber abgefedert

Die Regierung ist der größte Konsument und der wichtigste Investor der amerikanischen Volkswirtschaft. Ökonomen befürchten erhebliche Auswirkungen auf die Konjunktur. Das ohnehin schleppende Wachstum dürfte in diesem Jahr auf ein Prozent abgebremst werden. Damit geriete auch die Erholung am Arbeitsmarkt ins Stocken.

Notenbankchef Ben Bernanke rief den Kongress am Dienstag dazu auf, die radikale Haushaltskur durch ein behutsameres Sparprogramm zu ersetzen. Die Geldpolitik "kann die Verantwortung für eine Beschleunigung der wirtschaftlichen Erholung nicht alleine tragen", sagte er.

Auf die Finanzkrise und die von ihr ausgelöste große Rezession hat die US-Regierung mit einer massiven Steigerung der Ausgaben reagiert. So gelang es, den Absturz zwar nicht aufzuhalten, so doch zumindest abzufedern. Allerdings hat die Regierung die Konjunkturpolitik schon vor zwei Jahren eingestellt und Sparmaßnahmen beschlossen, die jetzt massiv verschärft werden. Nur nach dem Feldzug in Vietnam und nach dem Kalten Krieg hat Washington die Ausgaben noch schneller und noch drastischer reduziert.

Doch zumindest eine gute Nachricht gibt es: Fast niemand erwartet, dass die rabiate Haushaltskonsolidierung eine neue Wirtschaftskrise auslöst - anders als zum Jahreswechsel, als die Streichliste des Sequesters mit automatischen Steuererhöhungen zusammenzufallen und das Land in die Rezession zu stürzen drohte. Im letzten Moment einigten sich Republikaner und Demokraten damals darauf, die Steuererhöhungen nur für Superreiche in Kraft treten zu lassen und die Sparmaßnahmen zu verschieben. Die Haushaltsklippe, vor der sich die Finanzmärkte im Dezember fürchteten, wurde umschifft, die Rezessionsgefahr weitgehend gebannt.

Die Privatwirtschaft ist nach Einschätzungen der Investoren an der Wall Street gut ins neue Jahr gekommen. Der Wachstumseinbruch, den die USA Ende 2012 erlitten hat, scheint überwunden zu sein. Vor allem der Immobilienmarkt hat sich stabilisiert. In fast allen Landesteilen steigen die Häuserpreise wieder. Die Konsumenten fassen Vertrauen in den Aufschwung.

Und die Freilassungen der illegalen Einwanderer zeigen, dass der Sparkurs auch gute Seiten hat. Die Abschiebehaft in privaten Gefängnissen wurde in den vergangenen Jahren nicht nur als eine einem Rechtstaat unwürdige Praxis kritisiert, sondern auch als heillose Verschwendung von Steuergeld. 70 Milliarden Dollar lassen sich die USA den Gefängnisbetrieb jährlich kosten.

Das erklärte Ziel wird nicht erreicht

Kein anderes Land bringt so viele Menschen hinter Gitter wie Amerika. Für Haushaltspolitiker ist hier noch viel zu holen - genau wie im aufgeblähten Militärbudget. Auch dort sind die bevorstehenden Haushaltseinschnitte zumindest ein Anfang: Erstmals seit Mitte der Neunzigerjahre wird der Verteidigungsetat angerührt, der kaum etwas zum nachhaltigen Wirtschaftswachstum beiträgt.

Insgesamt jedoch überwiegen die negativen Auswirkungen der Rotstiftpolitik. Auch dort, wo Ausgaben ökonomisch nicht nur sinnvoll, sondern dringend nötig sind, wird gespart. Bei der Bildung etwa und bei der Grundlagenforschung. Zudem drohen soziale Notlagen. Mietzuschüsse werden gestrichen, Gesundheitsprogramme für mittellose Frauen und Kinder reduziert. Überflüssige Subventionen für Ölkonzerne und verschwenderische Beihilfen für Agrarbetriebe bleiben dagegen erhalten.

Selbst das erklärte Ziel, einer Schuldenkrise nach südeuropäischem Vorbild vorzubeugen, wird mit dem Sparkurs nicht erreicht. Denn die wahren Kostentreiber im Staatshaushalt sind fast vollständig tabu. Die Krankenversicherung Medicare und die Mindestrente Social Security werden in fünfzehn bis zwanzig Jahren kaum noch zu bezahlen sein. Ob mit Sequester oder ohne.

© SZ vom 28.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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