Guantánamo:Obama erwägt Militärtribunale

Lesezeit: 3 min

Trotz der öffentlichen Abkehr von Guantánamo will die US-Regierung möglicherweise auf umstrittene Militärtribunale zurückgreifen. Sonst könnten die Häftlinge des Lagers gar nicht mehr vor Gericht gestellt werden.

V. Wolff

Eines der wichtigsten Wahlversprechen von US-Präsident Barack Obama war die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba. Sie soll im Januar 2010 abgeschlossen sein - daran hält er fest. Doch trotz der Kritik von Obama könnte seine Regierung laut einem Pressebericht auf die umstrittenen Militärtribunale zurückgreifen, um den Insassen des Gefangenenlagers den Prozess zu machen.

Mahnwache: Demonstranten erinnern Präsident Obama an sein Versprechen, das Kapitel Guantánamo endgültig zu beenden. (Foto: Foto: Reuters)

Die New York Times berichtete am Samstag, die Regierung wolle die speziellen Militärtribunale wieder einsetzen - Obama hatte in einer seiner ersten Amtshandlungen die Guantánamo-Verfahren bis zum 20. Mai ausgesetzt, um diese Art der Prozesse zu prüfen. Zu dieser Zeit schien es bereits so, als werde dieses System für immer abgeschafft. Unter Obamas Amtsvorgänger George W. Bush hatte der US-Kongress im Jahr 2006 für die Verfahren gegen Guantánamo-Insassen diese speziellen Militärtribunale geschaffen, bei denen die Rechte der Angeklagten im Vergleich zu US-Zivil- und Militärgerichten deutlich eingeschränkt sind.

Schon von der kommenden Woche an könnten die Militärtribunale ihre Arbeit wieder aufnehmen, berichtete das Blatt. Allerdings solle zuvor der Rechtsschutz der Verdächtigen verbessert werden. Grund für die Wiedereinführung der Tribunale ist die Sorge der Regierungsberater, dass eine Überführung der Guantánamo-Insassen vor ordentliche amerikanische Gerichte mit erheblichen Hindernissen verbunden sein könnte. Für Richter könne es schwierig sein, Gefangene zu verurteilen, die in ihrer Haft brutal behandelt wurden - ebenso könne es für Staatsanwälte ein Problem darstellen, ihre Anklagen mit Stoff zu unterfüttern, die sie nur aus zweiter Hand kennen, weil sie von Geheimdiensten gesammelt wurden.

Zwar würden es der Zeitung zufolge Obama und seine Berater bevorzugen, die Gefangenen vor ordentliche amerikanische Gerichte zu stellen - doch nachdem sie länger mit den Fällen befasst waren, gehe die allgemeine Meinung immer mehr dazu, die Militärtribunale wieder einzusetzen. Auch US-Verteidigungsminister Robert Gates hatte am Donnerstag bei einer Anhörung vor dem Kongress erklärt, die Militärtribunale seien "immer noch eine Option".

Vertreter von Menschenrechtsorganisationen kritisierten Obama für die Erwägung dieses Schritts. Er würde damit sein Wahversprechen brechen, sagte Anthony Romero, Chef der American Civil Liberties Union. Die New York Times zitierte zudem Gabor Rona, den Chefjuristen von Human Rights First, mit den Worten: "Militärtribunale sind nur dann notwendig, wenn die Regierung Urteile sicherstellen will, die in anderen Gerichten nicht sicher wären".

Noch ist nicht klar, wie viele der noch verbliebenen 241 Insassen des Gefängnisses auf Kuba noch vor Gericht gestellt werden sollen. Obama kündigte gleichwohl die Schließung des Gefangenenlagers bis Januar 2010 an. Die Freilassung von 60 Insassen wurde bereits genehmigt.

Unterdessen hat die US-Regierung der Bundesregierung eine detaillierte Liste mit Guantánamo-Häftlingen überreicht, für die Aufnahmeplätze in Europa gesucht werden. "Es liegt eine konkrete Anfrage vor", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI) am Samstag in Berlin. Er bestätigte damit einen Bericht des Magazins Der Spiegel. Danach hat der Beauftragte der US-Regierung für Guantánamo, Dan Fried, in der vergangenen Woche in Berlin Unterlagen mit Fällen einzelner Häftlinge im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt übergeben.

Es handele sich um knapp 10 von insgesamt rund 50 Insassen, die nach Schließung des US-Gefangenenlagers nicht in ihre Heimatländer zurück könnten und in den USA als ungefährlich gelten. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bestätigte am Samstag lediglich, dass es ein Gespräch mit Fried gegeben habe. Mit der Bearbeitung der Fälle werde das zuständige Innenministerium beginnen, sobald die Liste an das Ressort übermittelt worden sei. Wie lange dies dauern werde, konnte der BMI-Sprecher nicht sagen. Jeder Einzelfall müsse sorgfältig nach dem Aufenthaltsrecht geprüft werden. Dabei spielten nicht nur Sicherheitsaspekte eine Rolle.

Nach der gemeinsamen Haltung der Bundesregierung seien in erster Linie die Herkunftsländer der Freigelassenen beziehungsweise die USA - in deren Hoheitsgebiet sie sich derzeit aufhalten - für die Aufnahme zuständig, sagte der Sprecher. Deswegen müsse für eine Entscheidung über die eventuelle Aufnahme in Deutschland auch begründet werden, warum weder das Heimatland noch die USA in Frage kämen. Vor einer Entscheidung werde das Innenministerium in jedem Fall auch Rücksprache mit anderen Regierungsressorts und den Länderregierungen halten.

US-Justizminister Eric Holder hatte am Mittwoch nach Gesprächen mit der Bundesregierung in Berlin mitgeteilt, die USA wollten in Kürze 30 Insassen aus Guantánamo freilassen. Seine Regierung sei zuversichtlich, dass sich auch Verbündete in Europa an einer Aufnahme beteiligten. Er habe für diesen Wunsch bei seinen Treffen "kein endgültiges Nein" erhalten und hoffe auf eine "faire Aufteilung".

Über konkrete Zahlen sei noch nicht gesprochen worden, betonte Holder, der unter anderem mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zusammengekommen war. Washington werde sich in etwa einem Monat an andere Regierungen wenden.

Innerhalb der Bundesregierung war die Aufnahme von einzelnen Gefangenen umstritten. Während Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) aus humanitären Gründen dafür plädierte, führte Schäuble Sicherheitsbedenken ins Feld. Im Gespräch ist, dass etwa fünf ehemalige Guantánamo-Insassen nach Deutschland kommen.

Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin forderte eine zügige Prüfung, ob in den wenigen konkret angefragten Fällen nicht mehr Guantánamo- Häftlinge in Deutschland aufgenommen werden können. "Diese Menschen sind Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen geworden." Die neue US-Regierung habe Bereitschaft gezeigt, die Verbrechen in Guantánamo Bay aufzuarbeiten. Trittin: "Deutschland sollte dabei helfen."

© sueddeutsche.de/AFP/dpa/cmat/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: