Guantanamo-Gefangener Murat Kurnaz:Falsche Vorwürfe, peinliche Verwechslungen

Lesezeit: 3 min

Deutsche Behörden waren seit 2002 selbst überzeugt davon, dass der Türke aus Bremen ein harmloser Pechvogel war.

Hans Leyendecker, John Goetz und Nicolas Richter

In Guantanamo herrschten im September 2002 "ideale Arbeitsbedingungen", wie die deutschen Geheimdienstler fanden. Zwei Tage lang saßen sie Murat Kurnaz aus Bremen gegenüber, im klimatisierten Vernehmungscontainer. Kurnaz sagte, er habe lange auf die Deutschen gewartet und signalisierte "uneingeschränkte Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft".

Die Deutschen waren sich schnell einig, dass Kurnaz nie ein afghanisches Terrorlager besucht habe, sie erwarteten seine baldige Freilassung und überlegten, ob er als Spitzel in der Islamisten-Szene tauge, was die Amerikaner gefordert hatten. Aber Kurnaz schien ihnen dann selbst dafür zu harmlos.

"Weiterhin hat Kurnaz nach übereinstimmender Einschätzung keinen Zugang zum Mudschahedin-Milieu, was ja auch die Begründung seiner Freilassung wäre", heißt es in einem Vermerk des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Oktober 2002. Der Mann hatte offenkundig schlicht nichts mit Terror zu tun.

Das seinerzeit von Frank-Walter Steinmeier geführte Kanzleramt aber behandelte Kurnaz jahrelang wie einen Staatsfeind. Am 29. Oktober 2002 beschließt die "Präsidentenrunde" im Kanzleramt, Kurnaz die Rückkehr nach Deutschland zu verweigern. Am nächsten Tag legt das Innenministerium einen Plan vor, die Aufenthaltserlaubnis von Kurnaz für erloschen zu erklären und das Dokument in seinem Pass zu vernichten. Die Bemühungen, Kurnaz fernzuhalten, enden erst, als Angela Merkel Kanzlerin wird und Steinmeier das Kanzleramt verlässt.

Unterlagen zufolge hoffen die Sicherheitsbehörden noch im Oktober 2005, aus den USA "weitere Informationen gegen Kurnaz zu bekommen, die den Verdacht der Unterstützung des internationalen Terrorismus erhärten". Am 27. Oktober besprechen zwei Staatssekretäre des Innen- und Außenministeriums den Fall. Sie erwarten, dass Kurnaz einen neuen Visumantrag stellt. Sie wollen prüfen, ob sie "gerichtsverwertbares Material" gegen Kurnaz finden, damit der Antrag abgelehnt werden kann.

Konstruierte Freundschaft zu Selbstmordattentäter

Mehr als ein halbes Jahr vorher, im Januar 2005, hatte die US-Bundesrichterin Joyce Hens Green alle US-Vorwürfe gegen Kurnaz verworfen. Die US-Regierung, kritisierte Green, halte Kurnaz "möglicherweise lebenslang fest, und dies ausschließlich wegen seiner Kontakte zu Personen und Organisationen mit Verbindung zum Terrorismus, und nicht wegen irgendwelcher terroristischer Aktivitäten, die der Gefangene unterstützt, gefördert oder selbst unternommen hätte".

Das US-Militär hatte die Anschuldigungen gegen Kurnaz im Wesentlichen mit dem Vorwurf konstruiert, der junge Türke sei Vertrauter eines Selbstmordattentäters gewesen. "Ich bin hier, weil Selcuk Bilgin jemanden mit einer Bombe getötet hat?", fragte Kurnaz ungläubig, als er im September 2004 vor einem Militärtribunal in Guantanamo mit der Anklage konfrontiert wurde. "Der Gefangene", hieß es laut Protokoll, "war ein enger Vertrauter eines Mannes, der später einen Selbstmordanschlag beging. Sie planten eine Reise nach Pakistan. Bilgin ist wohl ein Selbstmordattentäter".

Kurnaz und Bilgin waren in Bremen Freunde gewesen, aber mit dem Selbstmordverdacht lagen die Amerikaner falsch. Sie hatten einen Mann, der mitverantwortlich war für eine Anschlagswelle Ende 2003 in der Türkei, mit Bilgin verwechselt. Das Bundeskriminalamt wusste das und wies die Amerikaner Ende 2004 gleich zweimal darauf hin. Auch das Kanzleramt wusste, dass die US-Behörden sich geirrt hatten. Aus deutscher Sicht waren also sämtliche Vorwürfe gegen Kurnaz haltlos. Mit den Anschlägen in der Türkei hatte sein Freund nichts zu tun, und in Afghanistan war er nach Überzeugung der deutschen Geheimdienste nie gewesen.

Zielloses Umherreisen

Blieben nur Kurnaz' Verbindungen zur Islamisten-Organisation Jamaa at-Tabligh, die er aus Bremen kannte und von der er sich in Pakistan Unterstützung erhofft hatte in seinem Bestreben, den Koran zu studieren. Aber die Pakistan-Reise erwies sich anfangs zwar als exotischer Abenteuer-Trip, nicht aber als Extremisten-Seminar.

Nach Überzeugung der deutschen Geheimdienste reiste er dort Ende 2001 ziellos umher, die Tabligh-Anhänger in Pakistan beäugten ihn mit Misstrauen, weil er die Sprache nicht verstand und mit seinen rötlichen Haaren auffällig war. So auffällig, dass ihn die pakistanische Polizei festnahm und den Amerikanern übergab.

Der Besuch der deutschen Geheimdienstler in Guantanamo 2002, die Interventionen des BKA im Jahr 2004, um die Bilgin-Verwechslung aufzuklären, belegen, dass die deutschen Beamten stets im Bilde waren, dass Kurnaz ein harmloser Pechvogel war. Im Kanzleramt aber wurde dieses so eindeutige Ergebnis für unzulässig befunden: Wenn einer schon in den Medien "Bremer Taliban" genannt wurde, durfte er keinesfalls zurückkehren.

© SZ vom 22.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: