Grundsatzentscheidung:No!

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Die EU will nicht noch einmal über das Austrittsabkommen verhandeln. Genau das fordert aber das Parlament in London.

Von Björn Finke und Alexander Mühlauer, Brüssel/London

Unübersichtliche Lage in London: In acht Wochen treten die Briten aus, und das Risiko einer chaotischen Trennung steigt. Jetzt will die britische Regierung neu verhandeln. (Foto: Alastair Grant / dpa)

Welch eine Abfuhr für Theresa May. Als am Dienstagabend die Abstimmungsergebnisse aus dem britischen Unterhaus bekannt werden, reagieren gleich mehrere Staats- und Regierungschefs der EU und senden eine klare Botschaft an die Premierministerin: Das Austrittsabkommen, auf das sich die Europäische Union und die Regierung in London geeinigt haben, wird auf keinen Fall mehr aufgeschnürt.

Grund der Aufregung: Im britischen Parlament stimmte eine schmale Mehrheit für einen Antrag, der dazu aufruft, das Austrittsabkommen im zweiten Anlauf anzunehmen. Aber nur, wenn May zuvor den umstrittenen, sogenannten Backstop für Nordirland wegverhandelt. Vor zwei Wochen noch hatte eine überraschend große Mehrheit gegen den Vertrag votiert. Auch ein gutes Drittel der Regierungspartei, der Konservativen, verweigerte May damals die Gefolgschaft - die meisten Abweichler taten das, weil sie den Backstop ablehnen.

Ohne gültiges Abkommen droht jedoch am 29. März ein ungeordneter Austritt ohne Übergangsphase, dafür mit Zöllen und Zollkontrollen. May sagte nach Annahme des Antrags, das Parlament habe nun klargemacht, was nötig sei, damit der Vertrag gebilligt werde.

Doch die EU will den Wünschen der Abgeordneten nicht folgen. Daran ließen die Bundesregierung und Frankreich keinen Zweifel. "Es ist die beste mögliche Abmachung. Darüber kann nicht mehr verhandelt werden", sagte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron. Und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz erklärte: "Es ist ein guter und ausgewogener Deal. Daher wird es auch keine neuen Verhandlungen über das Austrittsabkommen geben." Möglich seien aber Gespräche über eine "Verschiebung des Austritts um ein paar Monate, wenn es eine klare Strategie seitens Großbritanniens gibt".

Die britischen Parlamentarier stimmten über sieben Anträge ab, in denen sie - meist unverbindliche - Wünsche zum weiteren Vorgehen beim Brexit äußerten. Zwei Anträge wurden angenommen: In einem sprach sich die Mehrheit dagegen aus, die EU ohne Vertrag zu verlassen. Doch diese Erklärung hat für die Regierung keine Folgen. Für den anderen siegreichen Antrag hatte May zuvor geworben. Es war der Aufruf, den Vertrag zu unterstützen, wenn May und die EU für den Backstop nicht näher benannte Alternativen finden würden.

Der Backstop ist eine Auffanglösung, die sicherstellen soll, dass niemals Zollkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland nötig sein werden. Diese Klausel im Austrittsvertrag besagt, dass das Königreich eng an die EU angebunden bleibt, sollten Kontrollen anders nicht zu verhindern sein. Brexit-Enthusiasten bei Mays Konservativen finden das schauderhaft.

Die Premierministerin hofft, dass der Erfolg des Antrags ihre Verhandlungsposition in Brüssel stärkt. Er soll die Botschaft senden, dass der Vertrag zu retten und ein Chaos-Brexit zu vermeiden ist, wenn sich die EU nur flexibel zeigt. Allerdings machte die irische Regierung sofort klar, dass sie den Backstop nicht aufweichen will. Premierminister Leo Varadkar sagte im irischen Parlament, er glaube nicht, dass " alternative Vereinbarungen" zu der Auffanglösung existierten. Und ohne Zustimmung Irlands - des Mitgliedstaats, den der Backstop betrifft - wird Brüssel keine Kompromisse eingehen.

Zumal der Sieg des Antrags nicht sehr beeindruckend ausfällt. 317 Abgeordnete stimmten dafür, 301 dagegen. Hätten nicht sieben Abgeordnete der Oppositionspartei Labour für die Erklärung votiert, wäre die Mehrheit noch kleiner gewesen. Die Anhänger eines harten Brexit, die vor zwei Wochen gegen den Vertrag gestimmt hatten, unterstützten jetzt zwar den Antrag. Sie verkündeten aber zugleich, dass dies keinen Blankoscheck für die Premierministerin darstelle. Soll meinen: Sind die Änderungen beim Backstop nicht umfassend genug, wird der Vertrag im zweiten Anlauf wieder abgelehnt.

May hat nun zwei Wochen Zeit, um mit Brüssel zu verhandeln und das Abkommen noch einmal vorzulegen. Geschieht das nicht bis 13. Februar, können die Abgeordneten am Tag darauf erneut über Anträge mit Ideen zum weiteren Vorgehen abstimmen. Dann könnte auch wieder ein Antrag vorgelegt werden, der die Regierung per Gesetz zwingen will, den Austritt zu verschieben, wenn der Vertrag nicht bald gebilligt wird. Dies soll das Risiko eines Chaos-Brexit mindern. Am Dienstag unterlag der Antrag noch, doch die Stimmung könnte sich drehen. Schließlich lehnen die meisten Abgeordneten quer durch alle Parteien einen ungeregelten Brexit ab.

In Brüssel laufen derweil die Vorbereitungen für so einen Chaos-Austritt. Die EU-Kommission präsentierte am Mittwoch weitere Vorschläge, um die Folgen abzumildern. So sollen Erasmus-Studenten in Großbritannien ihren Aufenthalt auch über den geplanten EU-Austritt hinaus abschließen können. Am 29. März werden sich laut Kommission etwa 14000 junge Menschen aus den 27 EU-Staaten mit dem Austauschprogramm im Vereinigten Königreich befinden. Auf dem Kontinent sollen gut 7000 britische Erasmus-Teilnehmer studieren.

Geht es nach der Brüsseler Behörde, sollen zudem in Großbritannien angesammelte Rentenansprüche weiter in den übrigen EU-Staaten gelten, und das selbst bei einem ungeregelten Brexit. Hat zum Beispiel ein Bürger aus den übrigen 27 EU-Staaten vor dem Brexit zehn Jahre lang im Vereinigten Königreich gearbeitet, solle dies bei der Berechnung der Rentenansprüche in dem Land, in dem er in den Ruhestand geht, berücksichtigt werden, schlug die Kommission vor.

© SZ vom 31.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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