Grüne:Von oben herab

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Höhepunkt: Protestplakat der Grünen auf der Zugspitze anlässlich des G-7-Gipfels 2015. Sich selbst meinte die Partei dabei aber nicht. (Foto: Philipp Guelland/AFP)

Auf ihrem Parteitag werden viele Grüne gegen Trump und Erdoğan wettern. Andere warnen vor einer Besserwisser-Attitüde und mahnen, sich um Wähler zu bemühen, die sich von Populisten angezogen fühlen.

Von Stefan Braun, Berlin

Wenn die Grünen sich an diesem Wochenende in Münster treffen, werden ihnen zwei, nun ja, außergewöhnliche Gäste einen großen Gefallen machen. Nicht dass Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan wirklich anreisen werden. Außerdem kann man sicher sein, dass die Beiden an den deutschen Grünen nicht wirklich Interesse haben. Gleichwohl werden sie in Münster viel Raum einnehmen. Denn der künftige US-Präsident und sein türkischer Amtskollege verkörpern für Grüne das, was man ein fast schon idealtypisches Feindbild nennen könnte. Trumps aggressiver, rassistischer, frauenfeindlicher Wahlkampf und Erdoğans Umgang mit allem, was in der Türkei noch Opposition ist, widerspricht diametral dem jahrzehntelangen Kampf der Grünen für Liberalität, Weltoffenheit und Gleichberechtigung. Aus diesem Grund dürfte sich in Münster kaum ein Redner die Chance entgehen lassen, mit verbalen Attacken auf die Herren Applaus einzuheimsen.

Interessanter als dieses erwartbare Szenario wird allerdings sein, ob sich die Grünen darauf konzentrieren, lautstark "So Nicht!" zu rufen. Oder ob sie den schwierigeren Weg wählen und in der am Freitagabend geplanten Debatte über Europa und die Welt auch der Frage nachgehen werden, was sie selbst tun können, was sie vielleicht sogar tun müssten, um den allgemeinen Zulauf für Bewegungen zu bremsen, die mit Fremdenfeindlichkeit und einem regelrechten Hass gegen Politik, Medien und Intellektuelle Stimmung machen.

Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hatte das nach der Wahlniederlage in Mecklenburg-Vorpommern Anfang September immerhin versucht. Auch die Grünen, so Göring-Eckardt, hätten die Aufgabe, zu hinterfragen, warum fremdenfeindliche Populisten bei so vielen Menschen Erfolg hätten. Sie verwies vor allem darauf, dass auch ihre Partei sich verstärkt um Menschen bemühen müsse, die sich sozial oder kulturell abgehängt fühlten.

Noch deutlicher war wenig später Winfried Kretschmann, der baden-württembergische Ministerpräsident und Lieblingsgegner der Parteilinken, in dieser Frage geworden. In einem Beitrag für die Zeit hatte er seine eigenen Leute gemahnt, auch die Grünen seinen "keine Helden" und sollten "das Moralisieren lassen" und statt dessen deutlich machen, "dass die neuen Freiheiten in der Lebensgestaltung ein Angebot und keine Vorgaben" seien. Kretschmann nutzte das Wort nicht, aber jeder verstand die Mahnung, dass die Grünen mit einer Besserwisser-Attitüde vieles vom eigenen guten Inhalt kaputt machen könnten.

Der Oberrealo rührte damit an einem besonders wunden Punkt: Er erinnerte an jene Negativ-Ausstrahlung, die nach Meinung vieler Realos ein zentraler Grund für die Niederlage 2013 gewesen ist. Die heftige Kritik an dem Mann aus dem Südwesten freilich lässt keine nachdenkliche Debatte erwarten. Eher werden sich die meisten mit Verve auf alle Schlimmen und Bösen stürzen - und alle Selbstkritik lieber ausblenden. Kretschmann jedenfalls erntete massive Kritik, auch weil er noch daran erinnert hatte, dass die meisten Menschen bis heute in einer klassischen Ehe leben. Für alle Linken war das eine Provokation, die sie sofort als konservativ, altmodisch, rückwärtsgewandt geißelten.

Zumal Kretschmann sich zuletzt für viele in seiner Partei ohnehin zum Lieblingsfeind entwickelt hat. Kretschmann lobte die Kanzlerin - und die Linken attackierten das als Verrat an allen rot-rot-grünen Chancen. Kretschmann warnt vor einem konkreten Datum für den Ausstieg aus den Verbrennungsmotoren - schon rollt die nächste Welle linker Attacken. Und dann erklärt er auch noch, dass er eine Vermögenssteuer weiter ablehnt. Das traf endgültig ins Herz der allermeisten Linken.

Denn keine andere Frage wird in Münster so sehr im Mittelpunkt stehen. Und das nicht, weil es schon immer der große Plan der Parteispitze war, ein knappes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl einen Steuerstreit auszufechten. Im Gegenteil, kaum etwas wollten sie so sehr verhindern, weil ebendieser Streit schon vor drei Jahren viel mehr Ärger als Nutzen gebracht hatte. Doch weil es in zwei Jahren Steuer-Kommission unter dem Vorsitz der Ko-Vorsitzenden Simone Peter nicht gelungen war, das symbolisch aufgeladene, aber höchst umstrittene Thema abzuräumen, werden sich die Grünen zum Start ins Bundestagswahljahr wieder um diese Frage kreisen.

Hinter vor gehaltener Hand finden das viele "zum Kotzen". Trotzdem muss, wenn kein Wunder geschieht, der Parteitag in einer Kampfabstimmung entscheiden. Und zwar über einen ersten Antrag, der die Vermögenssteuer ablehnt; einen zweiten, der die Instrumente einer Vermögensbesteuerung offen lassen möchte; und einen dritten, der sich für "eine verfassungsfeste, ergiebige und umsetzbare Vermögenssteuer für Superreiche" ausspricht.

Die Gefahr, die viele Grüne fürchten: dass in Münster alle anderen Ziele, mit denen sie mehr soziale Gerechtigkeit fördern wollen, vom Steuerstreit überspült werden. So wollen sie ein Modell für die Kindergrundsicherung beschließen, ein neues Rentenkonzept vorstellen und ein Bekenntnis für eine Bürgerversicherung abgeben. Wenn da nicht der Steuerstreit wäre.

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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