Grüne:Vier plus x

Lesezeit: 4 min

Katrin Göring-Eckardt, Robert Habeck, Cem Özdemir und Anton Hofreiter (von links) beim letzten Urwahlforum der Grünen in Berlin. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Die Urwahl der Spitzenkandidaten steht vor der Entscheidung. Für die Partei wird es Zeit, dass sie ein Machtzentrum bekommt. Denn über die richtige Strategie gibt es keinen Konsens.

Von Stefan Braun, Berlin

Reinhard Bütikofer gehört bei den Grünen zu den großen Alten. Der 63-jährige war Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, Parteichef in Berlin, Sprecher der deutschen Grünen im EU-Parlament. Und er ist seit 2012 Co-Vorsitzender der Europäischen Grünen. Sein Netzwerk ist groß und engmaschig; sein Einfluss bis heute erheblich. Deshalb muss es die Parteispitze kümmern, dass Bütikofer zum Start ins Wahljahr vor einem Absturz in die Bedeutungslosigkeit gewarnt hat. Nicht nur der Kanzlerin stehe ein Schicksalsjahr bevor; auch für die Grünen werde 2017 alles entscheidend, schrieb er in einem Tweet zum Jahreswechsel. "Ausgreifen oder irrelevant sein" - das seien die Alternativen.

Von der kurzen, heftigen und für die Grünen unschönen Debatte, die Parteichefin Simone Peter nach der diesjährigen Kölner Silvesternacht auslöste, konnte er da noch nichts wissen. Aber sie hat ihn letztlich bestätigt. Die Grünen wirken vor wichtigen Wochen nicht geschlossen. Deutlicher denn je zeigt sich, dass sie alsbald ein Spitzenduo und ein Machtzentrum brauchen, das diesen Namen verdient. Und wenn es nach Bütikofer geht, dann sollte diese Führung in die Gesellschaft ausgreifen, nicht den Blick einengen.

Man kann das wie eine Wahlempfehlung für die derzeit laufende Urwahl der Spitzenkandidaten lesen: Bütikofer findet jene Kandidaten schwierig, die mit tief-grüner Rhetorik vor allem die Kernanhänger der Partei noch entschiedener zur Urne rufen möchten. Nicht nur er befürchtet, so all jene abzuschrecken, die grün wählen könnten, sich noch nicht entschieden haben - und mit ihrer Stimme keinen dunkelgrünen Kampfauftrag verbinden möchten. "Ausgreifen"? Das kann nur heißen, auch jenseits der Kernklientel zu werben.

Insbesondere Fraktionschef Anton Hofreiter kann das nicht gefallen. Neben Parteichef Cem Özdemir und dem Kieler Umweltminister Robert Habeck ist er der dritte Bewerber für den männlichen Part im Spitzenduo. Dabei tritt er als einziger für die Parteilinke an und gilt als entschlossenster Verfechter einer kämpferischen Linie, mit der er vor allem die Leidenschaft der Festentschlossenen befeuert.

Hofreiter kann mit Verve gegen die Fleischindustrie, die Autobranche, die Energiekonzerne wettern und hat bei den Urwahlforen mit seinen manchmal lauten, meistens sehr entschiedenen und für manche aggressiven Auftritten viel Beifall geerntet. Beim letzten Forum am vergangenen Samstag in Berlin nahm er von sich aus die mangelnde Geschlossenheit ins Visier: "Was ich mir richtig wünschen würde, dass einfach die Zusammenarbeit besser klappen würde." Jeder Einzelne müsse sich überlegen: "Muss ich wirklich in jede Kamera jedes Zeug reinreden, bloß weil sie mir ein Mikrofon vor die Nase halten."

Allerdings gilt das Rennen noch immer als offen. Auch am Samstag, als die drei Männer zusammen mit der einzigen und faktisch schon gewählten Frau, Katrin Göring-Eckardt, in Berlin zum letzten Mal aufeinandertrafen, zeichnete sich kein Sieger ab - und keiner wirkte total abgeschlagen.

Das dürfte damit zusammenhängen, dass neben Hofreiter auch die anderen beiden ihre Fans haben. So gilt Özdemir bundesweit als Bekanntester der drei Männer; neben dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist er der einzige Grüne, der in Umfragen seit Monaten zu den zehn wichtigsten Politikern Deutschlands gezählt wird. Dabei hilft ihm, dass mit den Flüchtlingen, der Integration und der Türkei zentrale Themen seiner politischen und persönlichen Geschichte im Zentrum stehen - und er unter Migranten fast schon Kult-Status hat.

Der Kieler Habeck gilt, gemessen daran, als Außenseiter und hat sich zu Beginn des Wettbewerbs auch selbst so bezeichnet. Zum Ärger der Konkurrenz hat er das stets angereichert mit dem Hinweis, er habe als Nicht-Berliner am ehesten einen frischen Blick und etwas Neues zu bieten. In Schleswig-Holstein, wo Habeck seit gut vier Jahren als Umwelt- und Landwirtschaftsminister mitregiert, sind die Umfragezahlen für ihn günstig: die Grünen liegen dort bei gut 15 Prozent. Und Habeck selbst wird als beliebtester Politiker im Land ausgewiesen, besser angesehen als der sozialdemokratische Regierungschef Thorsten Albig.

Vor der Bundestagswahl 2013 sah es sogar noch besser aus - und endete viel schlechter

Prognosen wagt deshalb niemand. Alle im derzeitigen Berliner Spitzenquartett, mit Peter und Özdemir, Hofreiter und Göring-Eckardt, wissen zu gut, wie heikel und instabil die Lage geworden ist. Und das, obwohl die Grünen in den Umfragen seit drei Jahren recht stabil zwischen zehn und zwölf Prozent schwanken. Doch was Sicherheit geben könnte, schafft eher das Gegenteil. Denn ein gutes Jahr vor der Bundestagswahl 2013 sah es ähnlich und noch besser aus - und endete viel schlechter.

Aus diesem Grund konzentriert sich die Parteispitze in Person ihres Bundesgeschäftsführers derzeit vor allem auf ein möglichst öffentlichkeitswirksames Finale der Urwahl. So wird Michael Kellner bis zur Verkündung des Ergebnisses am 18. Januar versuchen, mit Besuchen bei der Post, der Präsentation von Briefbergen und der Verkündung einer wahrscheinlich recht hohen Beteiligung das Procedere ins Zentrum zu rücken. Auf eines kann er dabei schon verweisen: Nach Ankündigung der Urwahl kamen zahlreiche neue Mitglieder; mittlerweile sind es mehr als 60 000. Gut die Hälfte davon hat schon abgestimmt; Abgabeschluss ist der 13. Januar.

Etwas zweites kommt hinzu, das zeigen die Urwahlforen, und es lässt sich auch auf der Webseite studieren: Wahrscheinlich hat noch keine Partei ihre Kandidaten umfassender präsentiert als die Grünen. So wurden die zwanzig wichtigsten Fragen der Basis ermittelt und an die Wettbewerber gerichtet. Außerdem durften auch die Bundesarbeitsgemeinschaften spezifische Fragen stellen. So interessierte die BAG Tierschutz beispielsweise, ob die Kandidaten das Töten von Tieren zur Lebensmittelproduktion richtig finden; die BAG Lesbenpolitik wollte wissen, wie sie sich eine Änderung des Transsexuellengesetzes vorstellen; und die BAG Frieden fragte, wie viel Geld sie in die zivile Krisenprävention stecken würden. Seither gibt es auf der Homepage, auf wirklich alles, was Grüne interessieren könnte, vier Antworten.

Nur eines gibt es wohl nicht mehr: Die Gefahr, dass ein Gericht die Urwahl kippen könnte. Einige Mitglieder hatten das versucht und darauf verwiesen, dass mit Göring-Eckardt nur eine Frau antrete und damit laut Satzung eine Urwahl nicht stattfinden dürfe. Das Schiedsgericht wehrte die Anfechtung nun ab; danach haben auch die Kritiker klein beigegeben.

Dafür droht von ganz anderer Seite neues Ungemach. Während sich die vier Urwahl-Kandidaten noch beharken, ist der frühere Umweltminister Jürgen Trittin schon weiter. Via Spiegel teilte er am Wochenende mit, er sei bereit, "Regierungsverantwortung zu übernehmen", sprich: Minister zu werden. "Ich werde machen, was man mir anträgt. Und ich glaube, dass ich das nicht schlecht mache." Keiner der vier Urwahl-Kandidaten hinterließ am Samstag den Eindruck, dass ihm das gefallen hätte.

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: