Grüne:Habeck trifft Hermann

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Das Hermannsdenkmal, zuletzt Schauplatz grüner Grundsatzfragen. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Der Grünen-Chef will herausfinden, wie viel Leidenschaft Demokratie braucht. Also besucht er Soldaten in Niedersachsen - und diskutiert über Grundsätzliches an einem von den Nazis stilisierten Denkmal.

Von Stefan Braun, Bückeburg/Detmold

Kein Pomp, keine Fernsehkameras. Stattdessen warten im schmucklosen Konferenzraum des Kommandanten zwanzig Soldaten, die aus ihrem Leben erzählen. Robert Habeck ist zu Besuch gekommen. Und der Parteichef der Grünen macht anderthalb Stunden vor allem eines: Zuhören.

Es sind keine schönen Geschichten, die Habeck an diesem Vormittag im Juli erzählt werden. Es geht um mangelnde Anerkennung und fehlende Strategien, es geht um eine fortschreitende Entfremdung und um die Hoffnung, dass Politiker irgendwann redlicher mit Soldaten umgehen.

Bückeburg in Niedersachsen, Internationales Hubschrauberausbildungszentrum. Hier arbeiten und leben Soldaten, die nicht nur trainieren, sondern auch schon in Kosovo, in Mali oder im afghanischen Masar-i-Sharif waren. In Bückeburg wird nicht drumrum geredet, sondern alles gerade heraus ausgesprochen. Die Botschaft: Soldat zu sein ist kein Spaß in Deutschland. Immerhin: Am Ende erzählt ein Offizier, dass er nicht gleich grün wählen werde. Aber Habeck sei hinter verschlossenen Türen neugierig und lernbereit aufgetreten.

Ein Grünen-Chef bei der Bundeswehr - das ist keine Sensation, aber auch nicht üblich. Und was Habeck und seine Kollegin Annalena Baerbock derzeit versuchen, ist erst recht nicht alltäglich. Beide reisen im Juli und August nicht dorthin, wo es für Grünen-Chefs schön ist. Sie besuchen keine NGOs, die sich um Umweltschutz oder Flüchtlinge kümmern; sie schauen sich Institutionen und Orte an, die mit Deutschland, mit Nation, mit Demokratie zu tun haben. "Parteien, die sich nur auf ihre Milieus konzentrieren, entdecken nicht mehr, was im Land insgesamt los ist", sagt Habeck. Und er meint damit das, was die Grünen als Generalangriff auf das demokratische, liberale, weltoffene Deutschland ausgemacht haben: die Attacken der Rechtspopulisten gegen demokratische Werte, parlamentarische Verfahren, europäische Kompromisse. "Wir müssen dafür kämpfen, dass Institutionen und Symbole der Republik nicht von Rechten vereinnahmt werden können."

Über ihre Sommerreise haben Baerbock und Habeck das Motto "des Glückes Unterpfand" geschrieben. Sie erinnern damit an die dritte Strophe der Nationalhymne. "Einigkeit und Recht und Freiheit" - das ist die Passage, die ihnen besonders am Herzen liegt.

Deshalb Habecks Ohr für die Soldaten. Und deshalb später seine Weiterreise zum Hermannsdenkmal in Detmold. Das mächtige Monument aus dem 19. Jahrhundert erinnert an den Sieg des Cheruskers Arminius, der einst die germanischen Stämme einte und die römischen Heere besiegte. Bei der Grundsteinlegung 1841 galt es auch als Symbol der Freiheit und des Sieges gegen Unterdrücker; bald aber wurde es mit seinen anti-französischen Inschriften und seiner martialischen Bildsprache zu einem Wallfahrtsort rechter Gruppen. In der Weimarer Republik tobte hier ein besonderer Kampf zwischen rechtsextremen Gruppierungen und linken Parteien, die sich die Lesart des knapp 27 Meter hohen Denkmals streitig machten. Erst in den letzten Jahrzehnten verlor es viel von dieser Aufladung. Für Habeck ein Ort, "an dem sich Geschichte und Mythen zu großen Gefühlen aufladen lassen".

Und so sitzt der Grünen-Chef an einem Julitag 2018 im Gras vor dem Denkmal und diskutiert mit Kunsthistorikern, örtlichen Grünen und Besuchern über die Frage, wie viel emotionale Aufladung demokratische Parteien heute brauchen, da sie durch nationalistische Stimmungen massiv herausgefordert werden. Das Resümee der Historiker: Nachkriegsdeutschland habe über den Verstand vieles gut hinbekommen. Aber in der Selbstverständlichkeit der Demokratie sei nicht Leidenschaft, sondern emotional eher ein "luftleerer Raum" entstanden.

Und wie ist die Lage heute? Habecks Antwort ist eindeutig: Deutschland sei "hypernervös und gereizt", sagt der Grünen-Chef. "Im besten Fall ist es auf der Suche nach seinem Gemeinsinn; im schlechtesten Fall ist es längst gespalten." Für die Grünen heiße das, dass sie ob der Schwäche der anderen Parteien "die Kraft der stabilisierenden Mitte" werden müssten. Keine einfache Kost ist das, nicht für Habeck und Baerbock und noch weniger für ihre Grünen. Zu intellektuell klingt es manchen, zu abgehoben anderen, zu wenig grün Dritten. Die Parteichefs wird das kaum von ihrer Linie abbringen.

© SZ vom 17.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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