Grüne:Augen zu und durch

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Robert Habeck und Annalena Baerbock demonstrieren nochmal Einigkeit. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Grünen sprechen sich auf ihrem Parteitag Mut , Robert Habeck lässt Dampf ab.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Noch ein Anlauf also, und dann geht die Kandidatin noch einmal auf die Reise. Sie beginnt mit einem "ja, die letzten Wochen waren turbulent" und endet bei einer "Regierung, die den Menschen zuhört und ihnen was zutraut". Traut mir was zu, trotz allem, ist da die Botschaft. Dann steht Annalena Baerbock vor einem Saal, der sich erhebt, applaudiert und hofft, dass der Partei das Schlimmste erspart bleibt.

Sonntag beim kleinen Parteitag der Grünen in Berlin-Oberschöneweide, in einer ehemaligen Fabrikhalle stehen zwischen Hebebühnen Zimmerpalmen. 72 Delegierte sitzen hier, die eine Woche vor der Bundestagswahl noch mal einheizen wollen, allen Schwierigkeiten zum Trotz. Die Grünen, die im September stärkste Kraft werden wollten, stehen in Umfragen auf Platz drei und zwischen 17 und 15 Prozent. Bliebe es dabei, wäre das zwar deutlich mehr als 2017, aber dennoch enttäuschend für die Partei. Zudem müssen die Grünen befürchten, im Duell zwischen Union und SPD weitere Stimmen zu verlieren, wenn grünennahe Wählerinnen und Wähler aus taktischen Gründen SPD wählen.

Augen zu und durch ist also das inoffizielle Motto des Parteitags, der grüner Selbstertüchtigung dient. Annalena Baerbock, die ausdrücklich nicht als Kanzlerkandidatin spricht, sondern als "Parteivorsitzende für Robert und mich gemeinsam", betont in ihrer Rede immer wieder Gemeinsames, mit Parteichef Robert Habeck, mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Wer grün wählt, wählt nicht nur Baerbock, heißt das wohl.

"Klimaschutz sichert Arbeitsplätze und unseren Industriestandort und damit unseren sozialen Wohlstand", sagt Baerbock, die einen Mindestlohn von zwölf Euro fordert, Reformen am Hartz-IV-System, dazu eine Kindergrundsicherung. Staatliche Sozialpolitik bedeute auch "eine Verwaltungsrevolution". Das "Rumgeeiere" der großen Koalition in der Klima-, aber auch in der Außenpolitik müsse enden. Claudia Roth beschwört auf dem Parteitag "apokalyptische Feuer", die Verwüstung demokratischer Systeme, sozialer Netze durch einen weltweiten Temperaturanstieg. "Die Klimakrise, sie tangiert die Sicherheit, sie wirkt wie ein Turbo, der bereits bestehende Konflikte noch verstärkt", ruft sie in den Saal.

Es werden aber auch allerlei Signale an mögliche Bündnispartner gesendet am Sonntag. Der Leitantrag betont das Soziale, ein grünes Bündnis mit Gewerkschaften, den Rechtsanspruch auf Weiterbildung, die Stärkung von Tarifbindung, eine schärfere Mietpreisbremse - alles Ziele, die Grüne mit der SPD teilen. Von der Vermögensteuer hingegen, die im grünen Wahlprogramm steht, ist keine Rede mehr. Ein leiser Wink vielleicht, dass auch mit der FDP etwas gehen könnte.

Es ist dann Robert Habeck, der beim Parteitag Dampf ablässt, auch der Enttäuschung in der Partei Raum gibt. "Irgendwas war nicht ganz richtig in diesem Wahlkampf", sagt er. Statt darüber zu diskutieren, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz umgesetzt werde, habe Deutschland sich in Nebensächlichkeiten verzettelt. "Wir sind stecken geblieben in dämlichen, in dummen Debatten, die die politischen Mitbewerber immer weiter verlängert haben", sagt er.

Dämlich sei die Behauptung von FDP oder Union, Prosperität und Klimaschutz seien ein Gegensatz - oder die Annahme der "Spezialdemokraten", Fortschritt und Gerechtigkeit passten nicht zusammen. Deutschland rühme sich mit "überbordendem Selbstbewusstsein" seines technologischen Fortschritts, trotz maroder Brücken, verspäteter Züge, miserabler digitaler Infrastruktur. "Gehen wir zurück auf Los", ruft Habeck irgendwann. Es gebe eine Wechselstimmung im Land, eine Chance. Nur dass die Grünen sie eben noch nicht ergriffen haben.

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