Große Koalition:Ruppige Realpolitik

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Die CDU folgt den Sozialdemokraten - am Ende ist Sigmar Gabriel sauer. Wie die SPD fast daran scheiterte, einen Erfolg zu feiern.

Von Nico Fried und Christoph Hickmann, Berlin

Am Donnerstagabend hatte Sigmar Gabriel einen Auftritt, wie ihn seine Parteifreunde länger nicht mehr erlebt hatten. Als er noch Parteichef war, hatte er sich immer mal wieder ruppige Ansprachen an die eigenen Leute geleistet - doch zuletzt wirkte der Außenminister Gabriel so zufrieden mit sich, seinem Amt und seiner neuen Beliebtheit, dass die Erinnerung an den alten Gabriel beim einen oder anderen Genossen zu verblassen begann. Bis zur Zusammenkunft am Donnerstag.

Da traf sich die SPD-Bundestagsfraktion zu einer Sondersitzung, es ging um die Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan. Zu dieser Zeit hatte die Bundesregierung schon entschieden, dass vorerst nur noch Straftäter und terroristische Gefährder nach Afghanistan ausgeflogen werden sollen, und auch das nur nach einer Prüfung jedes Einzelfalles. Der Beschluss entsprach ziemlich genau dem, was Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz in Absprache mit Gabriel tagsüber öffentlich gefordert hatte. Man hätte also in der SPD auch mal einen kleinen Erfolg für den Kanzlerkandidaten feiern können, doch es kam anders.

Sigmar Gabriel erklärt politische Zwänge. (Foto: Thomas Trutschel/imago)

Gabriel hatte einen Gutteil seines Tages damit verbracht, sich mit Innenminister Thomas de Maizière und Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) zu einigen und später auch noch die Ministerpräsidenten der Länder zu überreden, nach dem Anschlag in Kabul abgelehnte Asylbewerber nicht mehr an den Hindukusch auszufliegen. Erst solle das Auswärtige Amt eine neue Beurteilung der Lage vornehmen.

Die Kritik am Abschiebestopp provozierte Gabriel. Er hatte sich für den Stopp engagiert

Mit dieser Initiative befand sich Gabriel durchaus auf einer Linie mit der anschwellenden Stimmung in der SPD-Fraktion. Im Laufe des Vormittags hatten sich nämlich immer mehr sozialdemokratische Abgeordnete entschlossen, am Abend gegen die Koalitionsdisziplin und mit den Grünen zu stimmen. Die hatten schon lange vor dem Anschlag in Kabul einen Antrag mit der Forderung eingebracht, die Abschiebungen auszusetzen. Dieser Antrag hätte normalerweise wenig Beachtung gefunden - nach dem Anschlag von Kabul und der gescheiterten Abschiebung eines Berufsschülers in Nürnberg aber war darin genau das Unbehagen formuliert, das sich in der SPD breit gemacht und sogar einzelne, in der Flüchtlingshilfe besonders engagierte Abgeordnete in der Union ergriffen hatte.

Nachdem in der SPD-Fraktionsführung Dutzende Erklärungen von Abgeordneten eingegangen waren, mit den Grünen stimmen zu wollen, informierte Fraktionschef Thomas Oppermann seinen Unions-Kollegen Volker Kauder (CDU), dass wohl eine Sondersitzung der Fraktion nötig werde. Ein massenhaftes Abweichen von der Koalitionsdisziplin hätte zu ernsten Verstimmungen zwischen Union und SPD führen können. Kauder ließ sich schließlich darauf ein, einen eigenen Antrag der Koalition zu formulieren, was ihm umso leichter fiel, nachdem am Nachmittag die Verständigung innerhalb der Regierung erzielt worden war.

Und um diesen Antrag ging es in der Sondersitzung der SPD-Fraktion. Mehrere Redner äußerten sich lobend, die Stimmung war gut - bis ein Abgeordneter kritisierte, dass man sogenannte Gefährder weiter nach Afghanistan abschieben wolle. Sie sollten besser in Deutschland bleiben - anderswo würden sie nur Unheil anrichten, sagte der Abgeordnete laut Teilnehmern sinngemäß. Davon und von weiteren kritischen Wortmeldungen fühlte sich Gabriel offenbar provoziert. Erkennbar genervt erklärte er in einem zweiten Redebeitrag die realpolitischen Zwänge: Wenn man einen absoluten Abschiebestopp beschließe, könne man die Bundestagswahl gleich vergessen, sagte er sinngemäß. Immerhin: Es gab zwar wieder mal Kritik an Gabriels belehrendem Auftreten. Er wurde aber, anders als früher, auch in Schutz genommen und vor allem dafür gelobt, dass er die Rolle des Kanzlerkandidaten Schulz herausgestellt habe.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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