Großbritannien:Waidwunde Antilope

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Vor dem Tory-Parteitag wirkt die britische Premierministerin Theresa May angeschlagen. Derweil arbeitet ihr Gegenspieler Boris Johnson über die britischen Medien fast täglich mit neuen Frechheiten und Ultimaten an seiner Karriere.

Von Cathrin Kahlweit, Manchester

Kurz vor dem Parteitag der britischen Konservativen, der am Sonntag im nordenglischen Manchester begann, kam Premierministerin Theresa May ins Frühstücksfernsehen. In der Andrew-Marr-Show sollte sie erklären, wie der Brexit aussehen könne, ob sie immer noch glaube, kein Deal sei besser als ein schlechter Deal, und ob sie glaube, dass sie noch lange Premierministerin sein werde. May wurde im Laufe der Stunde sichtlich dünnhäutiger, und mancher Zuschauer dachte wohl an die Schlagzeile in der aktuellen Sonntags- Times, die besagte, dass May nach der verlorenen Parlamentswahl im Juni geweint habe.

Nach der BBC-Sendung wurde einmal mehr deutlich, warum die britische Politik ein besonders hartes Pflaster ist: May habe gewirkt wie eine Antilope, die sich mit verletztem Bein und letzter Kraft durch die Savanne schleppe - das war noch eine der sensibleren Reaktionen.

Vor den Delegierten wird die angeschlagene Premierministerin erst am Mittwoch sprechen, aber bis dahin dürfte einiges geboten sein. Außenminister Boris Johnson hat bereits mitgeteilt, er glaube nicht, dass May in einem Jahr noch im Amt sei. May will sich, um den Fokus von der eigenen Person wegzubekommen, auf dem Parteitag auf soziale und innenpolitische Fragen konzentrieren. Vor dem Parteitag hatte die Premierministerin eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt, die jüngere Menschen wieder mehr für die Partei begeistern sollen. Jüngste Untersuchungen hatten ergeben, dass den Tories die Wähler unter 50 weglaufen, und unter diesen vor allem die ganz Jungen.

Nun sollen die Studiengebühren, die in Großbritannien sehr hoch sind, weniger stark steigen und womöglich gedeckelt werden, zudem soll die Verdienstschwelle, von der an Studienkredite zurückgezahlt werden müssen, sinken. Staatliche Zuschüsse, mit denen weniger Begüterten der Hauskauf erleichtert wird, sollen steigen. Die Tories wollen so auch jene Wähler erreichen, die sich zuletzt Labour zugewandt hatten. Deren Parteichef Jeremy Corbyn hat den Sozialisten mit seiner Konzentration auf soziale Fragen einen gewaltigen Popularitätsschub verschafft.

Neben innenpolitischen Debatten und der alles überlagernden Brexit-Frage wird auf dem Tory-Parteitag auch die Nachfolgefrage heiß debattiert werden - allerdings eher hinter den Kulissen. Die populäre schottische Tory-Chefin Ruth Davidson hat einige wichtige Auftritte, auch der irrlichternde Rechtsaußen Jacob Rees-Mogg, der sich im Rennen um die May-Nachfolge gern in die erste Reihe schiebt, ist auf insgesamt neun Podien angekündigt. Boris Johnson wiederum macht sich auf den Veranstaltungen rar; er braucht sie aber auch gar nicht, da er über die britischen Medien fast täglich mit neuen Frechheiten und Ultimaten an seiner Karriere arbeitet. Derzeit liegt er in den Umfragen vorn. Um den Brexit wird es auch gehen. May wollte am Sonntag in der BBC partout nicht sagen, wie die Übergangsphase aussehen könnte und ob sie der EU weitere Zugeständnisse machen wolle. Sie zog sich auf Allgemeinplätze zurück, der Moderator sagte schließlich entnervt: "Hier kommen wir nicht weiter.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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